Freitag, 14. Oktober 2016

Manöversonden über Schwarzenbek

Am 14.10.2016 sah ich nachmittags auf der Bremer Radiosondenseite eine bei Soltau gestartete Bundeswehr-Manöver-DFM09 in einem Bereich östlich von Hamburg einschweben. Derartige Massenaufstiege hatte es schon in der ganzen Woche gegeben, diesmal stimmte aber die Richtung. Das Landegebiet östlich von Lüneburg war aber schlecht mit Öffis erreichbar. Hab die Sache dann nicht weiter verfolgt, aber etwas später zeigte die Seite drei weitere DFM-Sonden. Eine war wohl ziemlich schnell geplatzt, aber die beiden anderen landeten gerade im Raum Schwarzenbek! Ich mach in solchen Fällen eine Quick-and-Dirty-Abschätzung der Landestellen. DFM09s senden auch am Boden genaue GPS-Koordinaten, so dass man nur schnell -bevor die Batterien verenden - vor Ort sein muss. Eine Landestelle lag im Sachsenwald - das klang auf den ersten Blick wenig aussichtsreich. Die andere Position befand sich in einem relativ freien Gelände nördlich von Schwarzenbek beim Dorf Grove - Felder, Wiesen, wenige Knicks und kaum Wald.






 Also rasch eine HVV-Ergänzungskarte und eine Fahrradkarte erstanden und auf nach Schwarzenbek. Dort kam ich um 19:45 an. Eine kleine Radtour - es war schon Nacht - brachte mich nach Grove. Die Idee war: Wenn die Landestelle ungünstig lag, könnte ich vielleicht immerhin ihre genaue Position in Erfahrung bringen und am nächsten Tag - einem Samstag, wiederkommen. Bushäuschen sind eine ideale Infrastruktur für den nächtlichen Sondenjäger! Um die Uhrzeit fährt dort kein Bus, man hat das Ding für sich und kann auf der kleinen Bank in Ruhe seine Antenne zusammenschrauben, den Rechner booten, ermittelte Landestellen im Netz checken usw. Einge Suche im Sondenband (die genaue Frequenz war mir unbekannt) und wirres Herumfuchteln mit der Antenne in der fraglichen Richtung ergab einen schwachen Empfang einer DFM09, die mir auch ihre GPS-Koordinaten verriet.



Google Earth zeigt die Landestelle auf einem freien Feld unweit eines gut erreichbaren Feldwegs! Das war doch schon mal der halbe Sieg!





Also nichts wie hin! Der Acker war ein teilweise abgeerntees gut begehbares Maisfeld. Per GPS hab ich mich im Taschenlampenschein zu der Stelle leiten lassen. Ich hatte Glück: Die Sonde lag gerade noch im abgeernteten Teil. Das Bild zeigt die Sonde und den Beginn der Schnur, die mich zum dem kleinen roten Fallschirm und dem noch kleineren roten Ballonrest (lieber rot als tot - Ihre Bundeswehr) brachte.



Der typische Bundeswehrzettel hatte den ungewöhnlichen Stationscode 10000, und die Startzeit war handschriftlich in MESZ und nicht in UT angegeben. Das sind wohl eher die Artilleristen als die Wetterfrösche - anders als bei den Sonden aus Bergen oder Meppen.




In Schwarzenbek fahren die Züge nach Hamburg am Freitag nur alle Stunde oder noch seltener. Da ich mich bei der Abfahrtszeit vertan hatte, nahm ich an, dass ich mich besser beeilen sollte, den Zug um 21:34 zu bekommen. Also wurde auf dem Rückweg richtig in die Pedale getreten. Vergebens - denn der Zug fuhr in Wirklichkeit erst in einer Dreiviertelstunde, um 22:22 - in einer Stunde! Wie schlägt man die Zeit tot? Da ich mich langweilte,wurde auf dem Bahnsteig meine Antenne zusammengeschraubt und in die Luft gehalten. Zu meiner großen Überraschung konnte ich ein schwaches Signal einer DFM detektieren! Das war die zweite DFM, die im Sachsenwald niedergegangen war. Ich hatte nicht erwartet, sie von dort aus empfangen zu können.



Die GPS-Koordinaten lagen tatsächlich im Wald, aber nur eine Fahrbahnbreite links vom Fahrradweg der B404! Wie schön ist doch mobiles Internet!



Was tun? Ich war vor Ort,  mein Fahrrad hätte mich sehr schnell zur keine 3km entfernten Landestelle und zurück gebracht. Der letzte Zug fuhr kurz vor 1:00. Zeit war mehr als genug vorhanden. Aber war das schlau? Kurz Terrainhöhe und Geoidhöhe abgschätzt und stark vermutet, dass die Sonde ca. 6m über dem Boden hängt - vermutlich in dem in Google Earth erkennbaren Baum. Für eine erhöhte Position sprach auch der für die Entfernung recht gute Empfang. Das Gelände sah in Google Earth unübersichtlich aus - Bäume und viel Unterholz. Für eine Suche im Dunkeln ist das vielleicht nicht so ganz optimal. Auf der anderen Seite war der Platz gut erreichbar. Ich entschloss mich, doch zurückzufahren und morgen bei Tageslicht zurückzukehren. Was sich als richtig herausstellte.

Nächsten Morgen - ein Samstag - hatte ich kein Rad, keinen Rechner und keine Antenne dabei, dafür Wanderschuhe und 2 Teleskopstangen, mit denen man 3.5m hoch reichen konnte. Also wanderte ich von Schwarzenbek aus zur Landestelle, wo man, wie erwartet, schon von der Straße aus einen freien Blick auf die am Baum pendelnde Radiosonde hatte.



Die Stangen waren sinnlos - die Sonde war zu hoch. Meine 6m - Schätzung vom Vorabend traf leider voll ins Schwarze. Die Schnur verschwand in den Wipfeln der Bäume. Wo war der Fallschirm? Ich schlug mich durchs Unterholz und fand ihn nach einiger Suche in einem anderen Strauch verklemmt vor, von wo aus die Schnur stramm gespannt über mehrer Bäume verlief. Und der Ballonrest war in erreichbarer Höhe! Daran konnte ich den Fallschirm und Abroller zu mir herunterziehen.


Brachte mich das weiter? Erstmal war dieser Teilerfolg eher kontraproduktiv: Wenn man die gespannte Schnur entlastete, hing sie leider durch, und am anderen Ende kam die Sonde nicht wie erhofft herunter. Man konnte sie nur nach oben ziehen, aber abwärts klemmte etwas. Durch mein Zerren war die Sonde auch bereits komplett und irreversibel meinen Blicken entschwunden! Mit ein paar Schnurmanövern konnte ich die Schnur von einigen Astgabeln loskriegen, aber das änderte nichts zu meinen Gunsten. Also habe ich die Sonde ganz nach oben gezogen und tatsächlich mit etwas Gewalt über den Widerstand hinaus befördern können, von wo aus sie mit einem Schwall Blätter abwärts segelte. Yeah!




Auf dem Heimweg durch die Außenbezirke von Schwarzenbek war guckten mich einige Eingeborene,  die adrett gekleidet ihre schmucken Gärten pflegten oder sich ein paar Brötchen holten, ziemlich lange an. Was war wohl von dem Typen zu halten, der zwei lange Stangen in der Hand, mit leicht verschlammten Wanderschuhen und breitem Grinsen, "guten Tag" sagend, an ihnen vorbeiging?