Mittwoch, 8. September 2021

Sonde landet in 3m Distanz: Fangen oder Filmen?

Sondentyp: RS41-SGP
SN:
S1610279
Frequenz: 402.7 MHz
Timerkill: keiner
Startstation: Sasel
(WMOID:10141)
Flugdatum: 08.09.2021 12:00Z
Track wettersonde.net

Maximale Höhe:
27872m

Durchschnittliche Aufstiegsgeschwindigkeit:
5.50 m/s
Landegeschwindigkeit: 4.8m/s
Landestelle: Groß-Niendorf, LAT, LON:
53.83131,10.26337, Google Maps
Status: Geborgen. Landung aus 3m Distanz beobachtet am 8.9.2021 13:06:52 UT. Gemeinsame Bergung mit Wolfgang (
OE3VBA) und seinem Bekannten, die sich das Spektakel aus ca. 200m Distanz angeguckt haben.
Methode: Decodierung des GPS mit TTGO, Kontinuierliche Prediction der Landestelle mit Tawhiri (RDZsonde-App und wettersonde.net).

Legendäre Videos von Leuten, die Sonden im Torwartstil kurz vor der Landung zu greifen versuchen, gibt es ja im Netz. Ich wäre ja schon froh, mal einer Sonde aus der Distanz bei der Landung zuzugucken. Das ist mir noch nie gelungen. Die Öffi/Faltradmethode hat hier einen spezifischen Nachteil: Man kann in den hektischen Minuten vor einer Landung nicht so schnell seinen Standort wechseln wie mit einem Auto. Und selbst mit einem KFZ soll das nicht ganz einfach sein.  Ich habe es einige Male knapp verpasst, einmal zu Fuß, einmal bin ich mit dem Rad falsch abgebogen, und einmal stand ich mit dem Auto ungünstig. Es sollte nicht sein. Da ich aber jetzt ein Auto besitze, kann man das ja auch einmal für so eine Aktion benutzen.

Allerdings muss alles zusammenkommen. Vor allem sollte es in allen Etagen der Atmosphäre recht windstill und ruhig sein. Dann kann man schon vor dem Start recht gut absehen, wo die Sonde landen wird. Auch springt die Prediction in der Endphase kaum hin und her. Ferner braucht man natürlich eine gute Durchsicht, um die Sonde bereits vor der Landung gut sehen zu können. 

Es gibt heute ein paar nüzliche Hilfsmittel. Da ist z.B. die RDZsonde-App, die einem eine gute Tawhiri-Prediction auf Basis der selbst empfangenen TTGO-Daten aufs Handy zaubert. In letzter Zeit macht auch wettersonde.net eine schöne Kartendarstellung mit einer sich selbst updatenden Tawhiri-Prediction. 

Am 8.9.2021 sind die Wetterbedingungen für so eine Aktion perfekt. Die Sonde steigen hoch, die Ballons platzen, die Sonden fallen unweit der Landestelle herunter. Optimal. bloß starten direkt in meiner Umgebung normalerweise keine Sonden. In unregelmäßigen Abständen startet  Sasel. Start in Sasel um 7 Uhr morgens wäre ideal gewesen. Aber Sasel startet selten.

Gegen 13:00 sehe ich bei einem zufälligen Blick auf Radiosondy, dass Sasel tatsächlich gestartet hat. Inzwischen hat die Windgeschwindigkeit allerdings etwas zugenommen, aber die Sonde schleicht dennoch langsam, langsam nordwärts. Schnell mal mit Standardparametern eine Prediction rechnen: Zielgebiet wäre Elmenhorst oder Grabau, je nachdem, wie gut der Schirm ist. Das ganze plausible Landegebiet ist vielleicht 8X12 Kilometer groß! Also pack ich schnell ein paar Sachen ins Auto und fahre los. Für den Fall der Fälle, dass man dicht genug an die landende Sonde herankommt, kommt eine Bridge-Kamera mit langem Tele mit. Und ein Fernglas. Von Schmalenbeck aus bin ich über die Autobahn rasch im Zielgebiet.

In Elmenhorst halte ich in einer Nebenstraße und befasse mich mit der Lage. 

 

Die Sonde schwebt 27 Kilometer hoch - und just, wo ich draufgucke, platzt der Ballon. Der TTGO funktioniert bestens, und auch auf wettersonde.net sind Daten zu sehen. Nun weiß ich, dass über 20km Höhe die Vorhersage nicht stimmt, weil für die Landegeschwindigkeit Standardwerte angenommen werden. Also warte ich ein wenig ab. Schon ist die Sonde in 19 km und sinkt relativ langsam, was auf einen funktionierenden Fallschirm schließen lässt. Die erste ernstzunehmende Prediction liegt knapp nordwestlich von Grabau, 5km entfernt. Also programmiere ich GRABAU ins Navi und ab. 

Am Ortseingang Grabau das gleiche Spiel: Nebenstraße suchen, Parkbucht ansteuern, anhalten, Handy an und gucken. Die Sonde ist jetzt 12km hoch, und die Vorhersage liegt jetzt weiter nördlich bei Tralau. Nun weiß ich, dass erst ab 7000m die Prediction verlässlich ist, und dass meistens im Bereich 8-16km die Vorhersage etwas zu weit zielt. Aber die Sonde dürfte schon nördlich von mir landen. Also sollte man die Sache hier nicht aussitzen, sondern beherzt losfahren. Die Straße, die in West-Ostrichtung auf Tralau zielt, könnte ganz gut hinkommen.

3km weiter nördlich finde ich hinter einem Wald auf einer Zufahrt zun einer Windkraftanlage eine Möglichkeit, noch einmal die Lage zu checken. Die Sonde hat bereits die 7km-Höhenmarke geknackt; ab jetzt dürften die Landepredictions recht präzise stimmen. Und tirili, ich stehe fast an der Landestelle. Ich löse allerlei Predictions aus - sie verschieben sich kaum. Sehr schön, die Flugbahn des Gespanns ist offenbar extrem stabil und hervorragend vorhersagbar. Besser dürfte es sein, 800m den Weg zurückzufahren, rechts abzubiegen und das Auto dann bei der nächsten Möglichkeit endgültig abzustellen. Die Karte von RDZsonde  zeigt außer der Predicton auch meine eigene Position an, was bei der kurzen Fahrt zur Prediction extrem nützlich ist.
 

Hier gibt es zwar keinen Parkplatz, aber immerhin eine Feldeinfahrt. Das kleine rote Auto kriegt eine Pause. Die Vorhersage hat sich die ganze Zeit nicht aus der Sichtweite verschoben. Sie liegt jetzt 200m südlich an der Kreuzung bei dem Gehöft da vorne. Soll ich da hinfahren? Nein, jetzt ist es wahrscheinlich schlauer, zu Fuß unterwegs zu sein und die endgültige Position nach der aktuellen Prediction feinzujustieren. Also Kamera und Fernglas umbinden, TTGO und Handy in die Brusttasche und losmarschiert.

Langsam wandert die Pediction minimal nach Osten. Super für mich. Das ist das Feld, an dessen Auffahrt mein Auto steht. Weiter südlich ist es eine Wiese. Also geh ich rauf und stell mich an die Prediction-Position, die kaum noch schwankt. Die Sonde ist noch 2000m hoch, ich kann sie nicht erkennen. 

Schon sinkt die Höhenangabe auf 900m. Ich steh immer noch fast perfekt auf der Prediction. Wo ist die Sonde? Langsam sollte man sie sehen! Da über dem Wald müsste sie einschweben. Als sie 600m hoch sein soll, erblicke ich das Gespann, und zwar unerwarteterweise nicht vor, sondern direkt über mir. Der Himmel ist stahlblau, der Fallschirm schneeweiß. Da baumelt auch die Sonde. Ich stehe im perfekten Glanzwinkel der Schnur, die schneeweiß am Himmel leuchtet. Ich versuche zu filmen, habe aber Probleme, die Sonde auf dem Display der Kamera zu sehen. Auch habe ich das Zoom viel zu weit aufgedreht, denn das Gespann von Sonde bis Schirm erstreckt ich bereits über einen größeren Teil des Himmels! Ich war irgendwie davon ausgegangen, dass ich eine Telebrennweite brauche. Diese Sonde zielt aber exakt auf mein nächstes Umfeld und wird direkt neben mir niedergehen!! Instinktiv laufe ich nach vorne, dichter an die leicht abschätzbare Einschlagstelle. Ich korrigiere meine Position mit hektischem Laufen, bin jetzt noch dichter unter der Sonde, die immer dichter auf mich zukommt.

Soll ich das Filmen sein lassen? Die Kamera ablegen und versuchen, die Sonde mit der Hand zu fangen?  Ich kommentiere diesen Denkprozess sogar in das Mikro der Kamera! Das wäre mit etwas Glück möglich. WAS für eine Situation!! Ich entscheide mich gegen das Fangen und für den (am Ende ziemlich verwackelten) Film. Geschätzte drei Meter vor mir fällt die RS41-Sonde ins Gras. Das ist unfassbar. Ich habe noch nie eine Sonde landen sehen, das war immer ein Traum. Und seh ich sie nicht nur landen, sondern stehe in der ersten Reihe. Ich stehe ich direkt daneben, wo eine Sonde ins Gras plumpst.  








 Das chaotische Rohvideo

 

 

auf Fallschirm/Ballonrest zentriert (mit PIPP)

 

Der Aufschlag (Zeitlupe)

Die blendend weiße Sondenschnur reicht über den halben Himmel, da vorne geht der Fallschirm nieder. Ich filme diesen Vorgang, schwenke dann auf den weißen Punkt - die Sonde - und mache mit ein paar Schritten eine Art ruckelige Kamerafahrt auf die vor wenigen Sekunden gelandete Sonde. Ich bin völlig perplex und noch imme voll mit Adrenalin. Wahnsinn, alles hat total zusammengepasst. Klar, man hat es ein wenig darauf angelegt, aber dass es am Ende so präzise funktioniert hat, ist mehr Glück als Verstand.

200m entfernt sehe sich zwei Leute auf mich zulaufen. Bestimmt Sondenjäger. Mir fällt ein, dass vorhin ein weißes Auto in einen Feldweg eingebogen ist. Ich  hatte mir da schon gedacht, dass das Sondenjäger sein mussten;  wer sonst sollte hier genauso krampfig und hektisch wie ich vorhin einen Abstellplatz für sein Auto suchen? Ich hatte auch am Rande mitbekommen, dass das Auto sehr langsam weiterfuhr. Danach hatte ich diese Beobachtung auch gleich wieder verdrängt. Die beiden sind hatten die Szene auch verfolgt und waren erstaunt, wie exakt ich an der richtigen Stelle stand. Ich bin tatsächlch genauso erstaunt. Einer hat einen österreichischen Dialekt. Wolfgang (OE3VBA) ist auf Familienbesuch in Norddeutschland und hat es darauf angelegt, eine Sonde von einem für ihn exotischen Startort mitzubringen und eine bizarre Zahl von Kilometern bei Radiosondys Spalte "Entfernteste Sonde" stehen zu haben. 


 Foto: Wolfgang,
OE3VBA

Dieses Problem ist lösbar. Klar kann er die Saseler Sonde mitnehmen, und logisch ist er Co-Finder dieser Sonde bei Radiosondy, denn wir waren ja praktisch gleichzeitig vor Ort. Er möchte mir sogar eine Sonde aus Linz im Austausch schicken *). Am Ende kommt noch der lokale Bauer gucken, was da Exotisches abgeht, und es gibt noch ein amüsantes Schwätzchen mit dem beeindruckten Landmann. 

Allmählich hat die MAO das Adrenalin soweit metabolisiert, dass man ans Autofahren denken kann, und so schraddel ich frohgemut nach Hause. Fast jede Radiosondenjagd ist spannend, aber es gibt immer mal wieder Highlights, an die man sich noch lange erinnern wird. So wie damals die Ozonsonde in Vahlde im Schneesturn. Und dieses Erlebnis hier spielt definitv in der selben Liga.

Und das Greifen einer Sonde im Torwartsstil? Das ist extrem schwierig, aber - das weiß ich seit heute -  definitiv ohne Torwarttraining machbar. Aber ob man jemals im Leben wieder an eine landende Radiosonde so nah herankommen wird? Es muss, so wie heute, alles zusammenpassen. Wetter, GFS-Modell stimmt, wenig Wind, gut zugängliche und begehbare Landestelle. Man muss eben im richtigen Augenblick in Laufdistanz zur Landestelle stehen. Selbst im Zeitalter von TTGO, Internet und Tawhiri ist diese Situation nicht einfach reproduzierbar zu erreichen, es wird selten passieren. Wenn man das wieder einmal geschafft haben sollte, wird es etwas schwierig sein, einen Gegenstand, der mit 5m/s vom Himmel fällt, präzise einzufangen. Gleichzeitiges Filmen ist ausgeschlossen. Also bräuchte man eine Helmkamera oder einen Kameramann, sonst glaubt einem das hinterher niemand. Ich sehe mich schon mit einer Helmkamera auf dem Acker stehen, und irgendwo 5km östlich fällt eine RS41 vom Himmel.


Übersicht über alle Sondenfunde hier
Karte aller Sondenfunde hier

*) Nachtrag: Wolfgang hat mir tatsächlich ein Paket geschickt. Und zu meiner freudigen Überraschung war keine RS41 darin, sondern eine echte M10-Sonde und ein wunderbarer roter Totex-Schirm. GANZ VIELEN DANK für diese Raritäten.


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