Sonntag, 26. Juni 2022

Betont unauffällige Landung in der Stadt

Sondentyp: RS41-SGP
SN:
T1321196
Frequenz:
405.7 MHz
Timerkill: 5 Stunden
Startstation:
Bergen (WMOID:10238)
Flugdatum: 26.6.2022 12:00Z
Track wettersonde
Maximale Höhe: 24690m
Durchschnittliche Aufstiegsgeschwindigkeit: 5.02 m/s 
Landegeschwindigkeit: 6.8 m/s
Landestelle: HH-Billstedt
LAT, LON:
53.5039,9.76854 Google Maps
Status:
Geborgen am 26.6.2022, 15:32 UT
Methode: Decodierung des Signals mit TTGO (RDZSonde)

 

Die Bergener Mittagssonde landet mitten im Stadtteil Hamburg-Billstedt. Ich sitze in Schmalenbeck, recht weit weg vom Geschehen. Irgendwer wird da schon nach dem Rechten sehen. Als das nicht passiert, frage ich auf unserer Whatsap-Gruppe nach, ob niemand unterwegs sei. Keine Antwort! Irgendwann kündige ich dann provokativ an, dass ich gleich losfahre. Keine Reaktion! Offenbar sind am Sonntagnachmittag alle üblichen Verdächtigen anderweitig beschäftigt. 

Die Landestelle ist allerdings auch laut Satellitenansicht für Zuspätkommer ziemlich hoffnungslos. Ein Mietshaus quer zur Flugrichtung. Auf beiden Seiten der angrenzenden Straße Bäume. Die Vorhersage liegt auf dem Gehweg. Eine schnelle Aktion wird das nicht, denn die Anreise würde mehr als eine Stunde dauern. GFK-Stange geschultert und auf zur U-Bahn! Über Wandsbek-Gartenstadt und Berliner Tor geht es zum U-Bahnhof Billstedt. Die Landestelle liegt nur 600m nördlich. 

Vom Gehweg direkt an der Prediction ist nichts Auffälliges wahrzunehmen. Weder liegen Trümmer im Bereich der mehrspurigen Kreuzung Schiffbeker Weg/ Schiffbeker Höhe, noch hängen Schnüre oder Schirme von dem Mietshaus oder von den Straßenbäumen. Der Killtimer ist noch nicht abgelaufen. Und die Sonde sendet tatsächlich noch. Ein Versuch mit dem TTGO ergibt eine bodennahe Positionen auf der Hinterseite des Mietshauses. Ob man da rankommt? Wahrscheinlich wird man Bewohner fragen müssen. Aber nein, ein Fußweg führt da hin, und das Gelände auf der Hinterseite des Hauses ist zugänglich. Direkt an der Sondenposition stehen hohe Bäume. Aber da ist die Sonde, und sie liegt tatsächlich auf dem Boden!




Mal umdrehen das gute Stück. Diesmal ist da wirklich der neue Label, und zwar ganz regulär aufgeklebt.

Die Schnur geht senkrecht in die Höhe - über das Dach. Wenn man daran zieht, ist da ein Widerstand. Also besser die Sonde abschneiden und drüben noch mal gründlicher gucken.

Tatsächlich sehe ich die Schnur auf der Straßenseite über das Dach verlaufen, aber nur aus bestimmten Blickwinkeln. Schlaff durchhängend geht sie in einen der Bäume, und dann ebenso hoch und durchhängend über die Abbiegerspuren der Kreuzung in einen Straßenbaum auf der anderen Seite. Dort kann ich die Schnur auch wiederfinden, aber von einem Schirm ist weit und breit nichts zu sehen. Die Schnur reicht aber auch nicht weiter aufs nächste Dach - was auch angesichts einer Distanz von 44m zur Sondenposition und dem Schnurverlauf kaum möglich zu sein scheint.

Ich wechsele mehrfach die Position, kann aber nirgends Ballonrest oder Schirm im Baum erkennen. Von der anderen Straßenseite kann ich die Dinge dann aber doch mit dem Fernglas ausmachen. Die Sachen scheinen lose im Wipfel zu liegen, offenbar jedenfalls nicht verhakt. Sie mit der Stange an der Schnur herunterzuholen wäre am niedrigsten Punkt der Schnur sicher machbar, aber dann müsste man auf der mittleren Fahrspur der gut befahrenen Straße stehen - unmöglich. 

Ich will gerade aufgeben, da kommt mir die Idee, ob man nicht doch noch mal vorsichtig an der Landestelle an der Sondenschnur ziehen sollte. Das Doofe ist, dass der Fallschirm im Erfolgsfall auf die Kreuzung schweben dürfte - mit unklaren Folgen für den Straßenverkehr. Man kann natürlich von der Position aus Straße und Kreuzung nicht sehen. Besser wäre die Aktion zu zweit mit Handykommunikation. Ich beschließe vorsichtig zu ziehen....

Nach anfänglichem Widerstand kann ich die Schnur frei einholen. Nach ein paar Metern ein leichter Widerstand, der aber auch leicht überwunden werden kann. Jetzt ist die Schnur frei. Ist der Schirm aus dem Baum befreit? Mein ungutes Gefühl sagt mir, dass man besser statt weiterer Blindflug-Seilmanöver mal drüben nachguckt, wie viele hektisch bremsende Autos gerade dem Fallschirm auszuweichen versuchen. 

Drüben schwebt der Fallschirm in circa 2.5 Metern Höhe über der Rechtsabbiegerspur, und die PKWs fahren drarunter hindurch. Hier muss ich rasch handeln, bevor ein LKW naht. Ich warte eine Lücke ab, springe auf die Fahrbahn, erbeute das gute Stück und ziehe den Fallschirm aus der Gefahrenzone auf den Gehweg. Uff!


 




Das Aufrollen der Schnur über Dach und Baum ist problemlos. Ich hatte phasenweise nicht damit gerechnet, dieses Gespann komplett bergen zu können und bin entsprechend happy. Auf Whatsapp trudeln erstaunte Gratulationen ein. Ganz offenbar hat niemand einer Sonde, die mitten in der Stadt derart "verkehrsgünstig" landet, eine nennenswerte Chance auf Bergung gegeben, schon gar nicht, wenn man erst nach Stunden zur Stelle ist. Das erklärt die zurückhaltenden Reaktionen vorhin. Ich bin auch mit recht viel Pessimismus losgefahren. Vor Ort erwies sich diese Landestelle aber als extrem unauffällig, geradezu diskret. Eine Sonde hinter dem Haus, eine Schnur, die man nur aus einem bestimmten Blickwinkel überhaupt erkennt, ein selbst bei Kenntnis des Baumes kaum sichtbarer Fallschirm...Die befürchtete Bergung durch Passanten war daher kaum wahrscheinlich. Wäre die Sonde aber nur 2 Meter weiter geflogen oder 3 Meter kürzer, wäre es eine sehr komplexe Baum- oder Dachlandung geworden mit sehr geringen Erfolgsaussichten. Noch ein paar Meter weiter hätte die Sonde der Verkehrstod ereilt. Diese kleinflächige Struktur der Landestellen im Großstadtdschungel macht es dem Sondenjäger oft schwer, eröffnet aber mitunter auch unerwartete Chancen und spannende Bergungssituationen.

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