Sonntag, 3. Juli 2022

Spontane längere Radtour trotz 9 Euro Ticket

Das 9 Euro-Ticket, also der faktische Nulltarif im deutschen Regionalverkehr,  macht das Radiosondensuchen mit Öffis schwierig. Wann hat man dazu Zeit? Am Wochenende. Was passiert da? Das da?


Folge: Fahrradmitnahme ist auf den Hauptlinien der Bahn ganz verboten von Freitag bis Montag. Das Faltrad geht normalerweise als Gepäckstück durch, man muss dafür auch keine Fahrradkarte kaufen und keinen Fahrradwagen benutzen. Es wird allerdings ständig darauf hingewiesen, dass es für Fahrgäste keinen Anspruch auf Beförderung gibt - dann bleibt man eben auf dem Bahnsteig zurück. Will sagen: Fast gratis pendeln geht mit dem 9 Euro Ticket, weil zu den üblichen Zeiten nur erfahrene Öffi-User unterwegs sind. Die Freizeitnutzung ist hingegen stark eingeschränkt und kann mit Stranden in MeckPomm oder in der Nordheide enden.  Ein weiteres Problem ist der "Erstmals im Leben Bahn Fahren"-Effekt: Weil man nicht gelernt hat, dass der Zug nicht spontan ohne einen losfährt, oder dass es an Bord Klos gibt, kommt Panik auf. Man drängelt nicht nur, sondern schlägt, schubst, lässt niemanden aus- und einsteigen  oder pinkelt in die Gegend. Der Zug hat nur 2 Türen, die anderen sind dazu da, eifrig an jedem Halt blockiert zu werden. Wenn es dem Bahnpersonal zu bunt wird, kommt die Bundespolizei und es geht erst einmal nicht weiter. Will sagen: Mir werden jeden Monat 90% meiner Ticketkosten erstattet,  aber die autofreie Freizeitgestaltung wird extrem erschwert. You get what you payed for.

Also fährt man mit der allerersten Bahn am Samstag - da schlafen die Leute noch. Auch nicht Richtung Rostock (weil man da bereits in aller Frühe mit dicken Rollenkoffern bewaffnet per Regionalzug nach Berlin durchzubrechen versucht).

Bei Apensen ist eine Sonde aus Bergen gelandet. Das ist die totale Nebenstrecke. Mit dem ersten Zug hin, zuschlagen und sofort zurück, das könnte klappen.

Sondentyp: RS41-SGP
SN:
T1320887
Frequenz:
405.7 MHz
Timerkill: 5 Stunden
Startstation:
Bergen (WMOID:10238)
Flugdatum: 30.6.2022 12:00Z
Track wettersonde
Maximale Höhe: 27696m
Durchschnittliche Aufstiegsgeschwindigkeit: 5.14 m/s 
Landegeschwindigkeit: 4.0 m/s
Landestelle: Rahmstorf
LAT, LON:
53.4048,9.674519 Google Maps
Status:
Geborgen am 2.7.2022, 6:44 UT
Methode: Extrapolation nach wettersonde.net-Daten. Danke Kurt für die tollen Daten

Allerdings war Christoph gleich nach der Landung vor Ort und berichtete in unserer Whatsappgruppe. Er hatte in dem Getreidefeld rumgesucht und nix gefunden. Das macht mir etwas Sorgen. Also werden beim Kaffee um kurz nach 5 Uhr noch einmal die Daten auf dem Notebook-Display angeschaut und durchdacht. Letzte Position und Tawhiri-Prediction liegen in 20 Metern Abstand, und mitten dazwischen die stumpfe Extrapolation. Letztere dürfte fast exakt stimmen. Wenn die Sonde noch da ist, sollte das kaum schiefgehen können. 

Die Bahnen sind wie erhofft leer. In Apensen wird das Rad entfaltet, und los geht es zu dem Weizenfeld. Aus dem ertönt ein sonorer Wachtelschlag. Der Vogel lässt sich auch durch meine Aktivität nicht stören. 400m geht es durch eine sehr breite Treckerspur direkt auf die Sonde zu. Da glänzt auch bereits ein kurzes Schnurstück in der Sonne. Es liegt auf den Ähren. Die Schnur ist allerdings nicht langestreckt, sondern liegt auf einem Haufen. Bei ungünstiger Beleuchtung dürfte es Christoph schwerer gehabt haben als ich heute. Die Schnur kreuzt auch nirgends die Treckerspuren. Fallschirm und Sonde liegen etwas tiefer zwischen den Halmen. Die Sonde liegt nur 2 Meter neben der Extrapolation.






Die Sonde ist von der Sorte "Johnnie Biker, no Label". 15 Minuten nachdem ich das Rad angeschlossen habe, bin ich mit Beute zurück an der Straße.

Der ursprüngliche Plan ist: Jetzt wieder schnell zurück. Aber nö, darauf habe ich bei dem phantastischen Wetter überhaupt keine Lust. Das Wetter schreit nach einer längeren Radfahrt. Eventuell bis zum Bahnhof Wintermoor. In dieser Gegend ist noch eine Bergener Sonde gelandet. Es kann bloß passieren, dass man dort nach 50km im 9-Euro-Chaos strandet. No risk no fun! Die rasch zusammengeklickte Brouter-Route erweist sich als prima: Fast nur Nebenstraßen, viele asphaltierte Feldwege. Je länger die Fahrt dauert, umso mehr gefällt mir die Tour.

Hinter Tostedt kommt mir der Ortsname Tiefenbruch irgendwie bekannt vor. Kontext uralte Kaltsonde! In der Open-Streetmap auf Locus ist tatsächlich eine Sonde von 2019 markiert. Die hatte Uli alias Asohen damals hoch im Baum am Rande einer Moorwiese lokalisiert. Ich erinnere zunächst nicht einmal den Startort - irgendwas DWD-mäßiges. Nach all den Stürmen der vergangenen Jahre ist sie wahrscheinlich längst heruntergefallen. Auch wenn die Chancen gering sind, spricht nichts gegen eine Erkundung der Lage.

Sondentyp: RS41-SGP
SN:
  R1220269
Frequenz: 404.1 MHz
Timerkill: keiner
Startstation: Norderney (WMOID:10113)
Flugdatum: 01.12.2019 00:00Z
Track radiosondy
Maximale Höhe: 30985 m
Durchschnittliche Aufstiegsgeschwindigkeit
: 5.58 m/s

Landegeschwindigkeit: 9.5 m/s
Landestelle: Tiefenbruch  LAT, LON: 53.2477,9.68732, Google Maps
Status: Geborgen am 2.7.2022, 9:29 UT
Methode:Koordinaten von Uli (Asohen)

Ein Feldweg führt bis zu einer anderen Moorwiese. Weiter geht es zu Fuß durch den Moorwald. Da hinten wird es hell, das sollte meine Wiese sein. Unmittelbar am Wiesenrand sperrt ein Graben das Fortkommen. Da ist ein Horst irgendeiner Binse, über den man gut rüberkommt. Rauf auf den Knickwall...Auf dessen anderen Seite steh ich an einem weiteren Graben. Der ist vom Modell "nass und tief".

Wenige Meter weiter entdecke ich einen Jagdstand. Und hier haben die Jäger ein Brett über den Graben gelegt. So habe ich Zugang zur Wiese. Da ist Ulis Baum. Oben hängt erwartungsgemäß nichts mehr.

Die Frage ist bloß, ob sie auf die Wiese oder in den Wald gefallen ist. Die Wiese ist vor kurzem gemäht, dort wird man wohl nichts mehr finden können. Drüben, auf der Waldseite und im tiefen Graben, liegt nichts Erkennbares. Ich werde wieder zurückgehen und mir die Sache von der anderen Seite angucken. Falls nicht weitere Gräben den Zugang verhindern.

Aber halt! Da liegt direkt zu meinen Füßen, tief im Gras, ein kleines weißes Schnipselchen mitten auf der Wiese. Styroporflocke, 5x5mm. Noch eine. Da! Ein größeres Stück Styropor...Aus dem Gras ziehen, umdrehen...

 

Hier bin ich richtig. Der dunkle Fleck dort hinten entpuppt sich als Hauptplatine. Und da glänzt eine teilweise zerhackte Batterie Typ Energizer. Die zweite ist leider nicht zu finden. Ich gehe mal davon aus, dass in diesem Fall nicht (nur?) ein Fellträger, sondern eine Mähmaschine beteiligt war. Nach dem kurzen Gras zu urteilen kann das noch nicht lange her sein. Die Trümmer sind nicht wirklich auffällig, weil in die Wiese gedrückt. Aber allmählich wird mein Blick für die Teile schärfer. Überall liegen Reste herum.







Die gelbe Farbe auf den Resten des Labels ist total verblichen.  Als alles Erkennbare eingesammelt ist, geht es über das Brett und durch den Wald zurück. Rasch noch Uli als Co-Finder eingetragen, denn ohne seine Daten hätte ich da nie etwas werden können.

Weiter geht es Richtung Wintermoor. Das Dörfchen Horst hat ein Denkmal, zu dem mir kaum noch etwas einfällt....

Das Ereignis scheint in der Erinnerung nach fast 100 Jahren noch sehr präsent zu sein, man beachte den Blumenschmuck....

Auf zur letzten Sonde bei Wesseloh!


Sondentyp: RS41-SGP
SN:
T1320142
Frequenz:
405.7 MHz
Timerkill: 5 Stunden
Startstation:
Bergen (WMOID:10238)
Flugdatum: 30.6.2022 00:00Z
Track radiosondy
Maximale Höhe: 27234m
Durchschnittliche Aufstiegsgeschwindigkeit: 5.3 m/s 
Landegeschwindigkeit: 13.5 m/s
Landestelle: Wesseloh
LAT, LON:
53.194051, 9.755544 Google Maps
Status:
Trotz intensiver Suche nicht gefunden
Methode: Extrapolation nach wettersonde.net-Daten.

Die Sonde ist mit extremer Geschwindigkeit auf einem Maisfeld niedergegangen. Die Extrapolation nach Radiosondy-Daten lässt kaum einen Spielraum für nennenswerte Fehler, genau wie bei der Sonde heute morgen. Aber ich finde die Sonde nicht. Die Pflanzen sind noch nicht sehr hoch, und die Ackerfurchen sind breit und verlaufen senkrecht zur erwarteten Schnurrichtung.  Nichts. Merkwürdig.

Weiter geht es zum Bahnhof Wintermoor. Hier wird mit Laufschrift ständig auf das geltende Fahrradverbot aufmerksam gemacht. Ob ich wegen des Faltrades argumentieren muss? Der Zug ist aber fast leer. Und da er bis Harburg fährt, muss ich auch nicht in Buchholz in den garantiert überfüllten Metronom umsteigen.

Übersicht über alle Sondenfunde hier
Karte aller Sondenfunde hier


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