Dienstag, 9. April 2024

Hilft Radiosondenjagd gegen Finsternissucht?

Am 8.4.2024 findet in den USA eine totale Sonnenfinsternis statt. Die Totalität dauert immerhin mehr als vier Minuten. Leider kann ich diesmal nicht hinfahren. Und für einen Eclipse Junkey ist das hart.  Ich versäume immerhin so etwas:

Finsternis 2008


Soll ich mir am Nachmittag und Abend einen der reichlich vorhandenen Livestreams reinziehen? Nein! Die haben mit der Realität so wenig zu tun, dass man sich nur ärgert. Der ganze Zauber des größten Himmelsschauspiels auf Erden ist auf einem Video nicht vermittelbar. Am Morgen sehe ich, dass die Werbedisplays an den S-Bahnhöfen im 2-Minuten-Takt auf das in Europa unsichtbare Ereignis aufmerksam machen - mit einem Video einer ringförmigen Sonnenfinsternis. Das ist ungefähr so, als wenn man einen Vorbericht zum Endspiel der Fußball-WM mit einem Handballspiel der Kreisliga unterlegt...Meine Stimmung sinkt.

Hilft geben den Finsternisentzug wenigstens eine Ablenkung in Form einer gepflegten Sondenjagd? In letzter Zeit gab es allerlei Meppentandems aus DFM17 und RS41. Sowas wäre doch nett. Aber sie landeten meist weit entfernt, alle wurden schnell abgegriffen oder von nicht eintragenden anonymem Zeitgenossen (NEAZ) beim Abreißen des Fallschirms im Wipfel einer Fichte in 35m Höhe versenkt, wie diese DFM17 im Wald bei Dangensern...

 

D23055899, die Schnüre sind gespannt wie ein Flitzebogen. Nach links geht es zum nicht mehr vorhandenem Fallschirm, nach rechts zur unsichtbar eingeklemmten RS41.

Nein, ein Tandem ist noch übrig: Zwischen Rotenburg/Wümme und Verden/Aller liegt es womöglich auf freiem Feld. Wenn es denn nicht bereits einer unheimlichen Begegnung mit einem NEAZ zum Opfer fiel. Warum also nicht nachgucken? Mit einem Deutschlandticket kostet eine Tour nach Rotenburg nichts extra, und 15km Faltradfahren (pro Richtung) sind bei dem fast schon sommerlichen Wetter eine feine Sache. Und das Strampeln soll auch gegen Finsternis-Entzug helfen. Sagt man.

Sondentyp: Tandem (DFM17 und RS41-SGP)
SN:
23(163)035251 (DFM17) und U3260320 (RS41)
Frequenzen: 403.049 (DFM17) und 404.5 MHz (RS41)
Timerkill: keine
Startstation:
Meppen (WMOID:10304)
Produktionsdatum: 2023-06-12 (DFM), 2022-08-13 (RS41)
Flugdatum: 4.4.2024 05:00Z
Track wettersonde-radiosondy-Mix
Maximale Höhe: 25955m
Durchschnittliche Aufstiegsgeschwindigkeit: 5.65 m/s 
Landegeschwindigkeit: 4.3 m/s
Landestelle: Heidkrug
LAT, LON:
53.01545,9.282178 Google Maps
Status: Geborgen am 8.4.2024, 15:22UT

Methode: Tawhiri-Prediction und Extrapolation nach radiosondy.info-Daten. 

Kurz mal die Chancen prüfen: Tawhiri und Extrapolation liegen erschreckend weit auseinander. Allzu genau kann die Vorhersage nicht sein. Allerdings liegen die beiden Vorhersagen auf einer geraden Linie zur letzten Position. Das bedeutet, dass zumindest die Flugrichtung ziemlich gut definiert sein dürfte. Das Gelände dazwischen ist laut Google-Maps Weide oder Wiese. Zwei Feldwege kreuzen die Flugbahn: Der südliche halbwegs zwischen Tawhiri und Extrapolation, der führt mitten durch den wahrscheinlichsten Bereich. Der andere verläuft weiter nördlich in der Gegend der Extrapolationslösung. Vielleicht kann man von den Wegen aus Ausschau nach dem Gespann halten.

Angesichts der Wiesen brauche ich wohl kein Baumbergegeraffel. Die Landegeschwindigkeit war gering, und der südliche Weg wird von Knickbäumen flankiert. Daran kann das Tandem gut hängegeblieben sein. Also wird doch lieber eine 10m Stange auf die Tasche geschnallt, damit ich am Ende nicht hilflos unter einem Haselstrauch scheitere. 

Obwohl gerade die Rushhour beginnt, ist der Metronom nach Bremen keineswegs überfüllt. Der durch das Deutschlandticket verursachte Megarun auf die Öffis scheint abzuflachen. Das Rad fliegt in eine Ecke neben den Sitzen, man selbst findet einen Sitzplatz. Unerwartet hält der Zug in Rotenburg auf dem Gleis 6, so dass ich sofort auf der richtigen Seite der Gleise aussteigen kann. Es kann instantan losgehen, ich muss nur das Fahrrad ausklappen und bin auf dem Weg.

In dieser Jahreszeit muss man beim Radfahren nur mal ein wenig die Ohren aufsperren. Da die verschiedenen Singvögel zeitlich versetzt aus dem Winterquartier zurückkommen, kann man leicht den Status des Frühlingsbeginns ermitteln. Ja, der Fitis ist unüberhörbar wieder da! Hatte dieses Jahr noch keinen gehört. Was mich komplett umhaut ist die Tatsache, dass Anfang April die Rapsblüte bereits im vollen Gange ist. Zwei Rekord-Mild-Monate in Folge machen es möglich.

 


"Sie haben Ihr Ziel erreicht", meint mein Fahrradnavi auf Locus. Gemeint ist die Stelle, wo die beiden genannte Feldwege von der Straße in die Landegegend abzweigen. Ich wähle den südlichen.

Ich habe mir zur Gewohnheit gemacht ca. 150m vor der Landestelle abzusteigen und zu schieben. Man sollte beim Radfahren nach vorne gucken und nicht in die Landschaft. Ich bin geschockt, wie hoch die Knickbäume sind. Nicht das erwartete Haselgesträuch, sondern hohe Eichen und Buchen. Im Ernstfall ist fraglich, ob die 10m Stange reichen würde. Aber in den Bäumen ist auf den ersten Blick nichts zu sehen, ebenso wenig auf den Wiesen Richtung Norden. Allerdings ist ebenfalls schockierend, wie nass der Boden auf den Wiesen noch immer ist.
 

Ein wunderschönes offenes Gatter befindet sich genau an dem Punkt, wo die vermutete Fluglinie den Weg schneidet. Ich lehne das Rad an und beginne mich gründlicher umzuschauen.



Ich lasse meine Blicke nach Süden schweifen - da fällt mir sofort ein Fremdkörper im Gelände auf, ca. 60m vom Weg entfernt. Das Fernglas habe ich schon herausgekramt. Ja, das sieht schwer nach einem Ballonrest aus. Und daneben liegt ein kleiner roter Bundeswehr-Schirm. Kein Irrtum möglich! Dass es so einfach werden würde, hatte ich nicht erwartet. Allerdings muss man beim Laufen auf diesem Gelände sehr genau nach vorne gucken und etwas Erfahrung mit Matschwiesen haben. Der direkteste Weg ist nicht immer der beste. In Ermangelung von Gummistiefeln müssen Wanderschuhe reichen - und sie reichen. 

 





Oha, um die Bundeswehr steht es schlecht. Das schwarze Tape in Meppen ist alle.




Und die Sonnenfinsternis? Ein Drama von Astrofreunden kriegt man am Rande digital mit. Caro und Dominik sind vom klimatisch favorisierten Texas fluchtartig nach Arkansas gefahren, um irgendwelche Chancen auf gutes Wetter zu behalten. Climate is what you expect, weather is what you get. Am Morgen schien die Sonne. Aber schon mussten sie in letzter Minute nochmals fliehen, um erneut einer heranrasenden Wolkenfront auszuweichen. Mit Erfolg. Am Ende stehen sie im Mondschatten bei bestem Wetter. Beide sind auch Sondenjäger, und sie hätten sogar reiche Beute machen können. Denn während der Finsternis starteten USA-weit jede Menge Wetterballons, überwiegend mit DFM17-Radiosonden. Auf Sondehub sah das so aus: 


Aber am Finsternistag denkt man natürlich nicht an Radiosonden. Als ich nach Hause komme, erreichen mich schon die ersten Finsternisfotos der Freunde.

Fazit: Hilft Sondenjagd gegen Finsternissucht? Nicht wirklich! War es trotzdem ein spannender Tag? Definitiv!


Übersicht über alle Sondenfunde hier
Karte aller Sondenfunde hier



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