Sonntag, 9. Februar 2020

Eine echte Kaltsondenjagd nach 276 Tagen

In der ersten Februarwoche landeten zwei Sonden in einer meiner Lieblings-Suchgegenden im Bereich Büchen-Schwanheide-Langenlehsten, also im Grenzgebiet zwischen Schleswig-Holstein und Mecklenburg. Zunächst kam die Saseler Sonde vom 4.2.2020. Die war ein Frühplatzer und kam nur 4647m hoch. Landung bei Nostorf auf freiem Feld. Tags drauf landete die Schleswiger Mittagssonde direkt bei Greven. In der Gegend habe ich schon mehrere Sonden gefunden.
Ursprünglich wollten Jürgen und ich gemeinsam die Sache erkunden. Aber er hatte am Samstag keine Zeit, und am Sonntag war eine Suche wegen des kommenden Sturms nicht empfehlenswert. Am Samstag war trockenes Sonnenwetter - kalt, trocken, sonnig. Beide Sonden lagen auf freiem Gelände unweit von Wegen - wenn das mal alles nicht zu spät ist. Also beschließe ich eine spontane Tour im Faltrad-Stil. Vormittags muss ich noch schnell etwas auf Arbeit erledigen, so dass ich erst um 12:03 die S-Bahn nehmen und losfahren kann. Die Radtour wird über 40km lang. Bei der Planung sehe ich auf der Handy-Karte der Locus-App eine alte Notiz einer Vorhersagelandestelle für P0520245. Das ist die Bergener Mittagssonde vom 8.5.2019. Die nicht besonders genaue Prediction liegt im Wald, aber meine Route führt direkt dran vorbei. Damals hatte ich auf Basis der letzten Position von radiosondy.info eine Tawhiri-Prediction gerechnet und auch die letzten Positionen abgespeichert. Ein Check auf radiosondy ergibt den Status "unbekannt". Ob die Zeit für einen Besuch bei den drei Landestellen noch bei Tageslicht reichen wird?

In Büchen wird das Rad entfaltet, und ab geht es Richtung Witzeetze und danach bei Dalldorf über den Elbe-Lübeck-Kanal. Das erste Dorf auf der mecklenburgischen Seite ist Zweedorf. Danach kommt Nosdorf, gelegen direkt an der Landestelle der Saseler Sonde.

Sondentyp: RS41-SGP
SN:P2531062
Frequenz: 402.7 MHz
Startstation: Sasel (WMOID:10141)
Flugdatum: 04.02.2020 12Z
Track  Bremen/eigene Daten
Landestelle Nostorf, LAT LON: 53.41061,10.66827 Google maps
Status: Suche erfolglos am 8.2.2020
Methode: Tawhiri-Prediction nach wetterson.de-Daten

Die Vorhersage der Landeprediction ist nicht allzu genau, aber die infrage kommenden Felder sind abgeerntet, übersichtlich und von Rehen bevölkert. Ich suche die Gegend weiträumig ab. Die Flugrichtung war geradelinig, allenfalls die Reichweite könnte fraglich sein. Nach einer Stunde bin ich recht sicher, dass da nichts mehr zu holen ist. Wahrscheinlich muss die Sonde mit einem großen Ballonrest heruntergekommen sein. So etwas ist auffällig,  und in den vergangenen 4 Tagen hatten Jäger, Bauern, Spaziergänger reichlich Zeit, das Ding einzusacken - alle diese Spezies sind heute reichlich unterwegs. Oder sie wurde von einem anonymen Sondenjäger geborgen, der in Radiosondy nichts einträgt. Ich gebe auf, immerhin ist der Weg noch weit, und ich will auch die letzte Sonde noch bei Tageslicht erreichen.

Weiter geht es nach Schwanheide. Das kennt jeder, der mal vor der Wende einen Transitzug nach Berlin (West)  benutzt hat. "SCHWANHEIDE,HIER IST SCHWANHEIDE, WILLKOMMEN IN DER DEUTSCHEN DEMOKRATISCHEN REPUBLIK". Bloß, dass außer DDR-Grenzern keiner ein- oder ausstieg. An dem Bahnhof steht noch der Plattenbau der alten Kaserne. Eine niegelnagelneue Unterführung unter der Bahn. Jetzt muss ich scharf abbiegen. Links ist schon der Wald mit der extrem kalten Sonde.

Soll ich die Kaltsonde im Wald wirklich suchen gehen? Priorität hätte die frische Sonde, die ich unbedingt noch bei Tageslicht suchen möchte. Für eine lange Suche im Wald ist keine Zeit. Aber vielleicht kann ich mal gaaanz kurz nachgucken. Die Neugier ist stärker als die Vernunft.

Sondentyp: RS41-SGP
SN: P0520245
Frequenz: 405.9 MHz
Startstation: Bergen (WMOID:10238)
Flugdatum: 08.05.2019 12Z
Timerkill: 5:00h
Track Bremen/Polen
Landestelle Schwanheide, LAT LON: 53.451095,10.716679 Google Maps
Status: gefunden am 9.2.2020,14:34Z
Methode: Tawhiri-Prediction auf Basis von radiosondy.info

Ich habe Glück: Ein auf der Karte nicht verzeichneter Weg geht exakt auf die vorhergesagte Landestelle im Kiefernwald zu. Hier parke ich mein Rad. "Landestelle wahrscheinlich etwas nördlich" hatte ich im Mai 2019 notiert. Hmmm, dann gehe ich doch mal bis zu dem Jagdstand da vorne. Ich schaue mich um. Fallschirm? Ballonrest? Fehlanzeige. Wahrscheinlich liegt die Sonde auch schon am Boden, und dann dürfte sie in dem dichten Heidelbeerenteppich schwer zu erkennen sein. Also lieber auf Fallschirme in den hohen Bäumen achten. Aber da sind keine. Ziemlich hoffnungslos, die Aktion. Besser aufgeben und schnell nach Greven fahren.

Aber das da ganz hinten, das ist doch merkwürdig. Da schwebt ein kleiner schneeweißer Punkt frei in der Luft und blinkt in regelmäßigen Abständen! Echt markant. Ein Blick durch den Feldstecher lässt keinen Zweifel: Das Blinklicht ist eine RS41, die in kommoder Pflückhöhe am Faden rotiert. Damit hätte ich nicht ernstlich gerechnet.


Der Faden geht über ein paar Nachbarbäume. Der Ballonrest da oben hängt völlig fest. Vom Fallschirm keine Spur.







Ich ziehe an der Schnur, die sofort ganz oben am Ballon abreißt. So kann ich zumindest die ganze Schnur  bergen. Die Sonde sieht 276 Tage nach der Landung erstaunlich frisch aus. Ein Test: Ja, sie startet, blinkt Error und verlischt: Batterie ist fast leer, und der Sensor hat wohl auch einen Hau. Eine echte Kaltsonde eben.




Frohgemut ob dieses unerwarteten Erfolgs laufe ich zurück zum Fahrrad, packe alles ein und mache mich auf den Weg. Ob ich in Greven genau so viel Glück habe?

Sondentyp: RS41-SGP
SN:  R2830740
Frequenz: 404.3 MHz
Startstation: Schleswig (WMOID:10035)
Flugdatum: 06.02.2020 0Z
Track  Bremen
Landestelle Greven, LAT LON:53.482792,10.784376 Google maps
Status: Suche erfolglos am 8.2.2019
Methode: Tawhiri-Prediction nach wetterson.de-Daten

Die Landestelle erreiche ich kurz vor Sonnenuntergang. Kurz gefasst: Ein Replay der Aktion in Nostorf. Die Prediction liegt genau auf dem Weg. In den Bäumen hängt nichts. Zwischen mir und dem Bauernhof liegt ein übersichtliches Maisfeld. Nichts. Auf der anderen Seite ist eine Weide. Um die genauer zu inspizieren, überquere ich einen kleinen Bach über einen Steg. Auf der Weide: Nichts. Weiter flugbahnaufwärts wieder ein Maisfeld. Auf den ersten Blick nichts. Wenn die Sonde kürzer geflogen wäre, könnte ich den Rest des Feldes besser auf dem Weiterweg erkunden, denn der führt genau daran vorbei. Auch dort: Nichts. Auch bei dieser Sonde war jemand schneller.

Den mir bekannten Hohlweg nach Langenlehsten kann ich noch in der hellen Dämmerung passieren. Venus leuchtet im Westen. Die letzten 10km nach Büchen lege ich in der Nacht zurück.

Übersicht über alle Sondenfunde hier
Karte aller Sondenfunde hier