Sondentyp: RS41-SGP
SN: R2751321Frequenz: 402.5 MHz
Startstation: Schleswig (WMOID:10035)
Flugdatum: 06.05.2020 12Z
Timerkill: Keiner
Track wetterson.de und radiosondy.info
Landestelle Krautsand, LAT LON: 53.76119,9.364685 Google maps
Status: Geborgen am 9.5.2020, 17:21 UT
Methode: Tawhiri-Prediction auf Basis von radiosondy.info-Daten
Allmählich sinken die Neuinfektionszahlen der COVID-19 Pandemie im Hamburger Raum auf einen Wert, wie wir ihn Anfang März zur Zeit meiner letzten normalen Radiosondenjagd hatten. Und damals wurde weniger getestet, und die meisten Menschen waren nicht problembewusst. Jetzt besteht in den Öffis Maskenpflicht. Als die Fallzahlen Mitte März und im April so hoch waren, habe ich die Radiosondenjagd auf Fälle reduziert, die man mit dem Rad von Altona aus erreichen konnte. Die öffentlichen Verkehrsmittel habe ich gemieden, und somit funktionierte meine übliche Öffi/Faltrad-Strategie nicht mehr, zumal Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern eine Einreisesperre verfügten. Heute habe ich mich erstmals wieder getraut. Tatsächlich habe ich, so ich nicht Homeoffice hatte, die letzten Wochen auch den Weg zur Arbeit mit dem Rad zurückgelegt. Der Verzicht auf die Radiosondenjagd war mitunter bitter, zumal das Wetter zum Teil für Radtouren hervorragend gewesen wäre. Unsere Whatsapp-Community war allerdings immer wieder erfolgreich, und ich unterstützte die Bemühungen der Kollegen mit Predictions.
Die Schleswiger Mittagssonde R2751321 am 6. Mai verfolgten wir aufmerksam im Landeanflug. Rainer und Olaf hatten gehofft, dass sie in die Gegend Bremervörde/Zeven fliegen würde. Aber in der ersten Zeit nach dem Platzen funktionierte der Fallschirm nicht wirklich. Kurt und Hein hofften bereits auf eine Landung auf der Nordseite der Elbe, aber dann berappelte sich der Schirm. Es sah eine Zeitlang so aus, als ob die Sonde in die Elbe fallen würde. Dann aber machte R2751321 es spannend, indem die Vorhersage eine Weile genau auf dem südlichen Elbufer lag. Am Ende landete sie auf Krautsand. Das ist eine Elbinsel, die durch Landgewinnung mittlerweile ein Stück Festland ist. Als Olaf kurz darauf eine Sonde von einer Wiese zog, dachte ich eine Weile, es handle sich um R2751321. In Wahrheit war es eine andere Schleswiger Sonde (R2751409), die bei Scheeßel gelandet war. Krautsand war für alle entweder auf der falschen Flussseite oder zu weit weg.
Als sie am Samstag die Sonde immer noch nicht geborgen ist, traue ich mich in die Bahn. Was aber für mich pro Richtung 1.5 Stunden Bahnfahrt und pro Richtung 20 Fahrradkilometer sind. Aber ich brauchte dringend mal eine schöne Radtour. Also los.
Wie voll würden die Verkehrsmittel angesichts der teilweisen Wiedereröffnung sein? Ich nehme einen Zug am Samstag Spätnachmittag, und der ist im Wesentlichen leer. Und die Leute halten sich im Wesentlichen an die Maskenpflicht. Einige scheinen aber nicht zu wissen, dass es NICHT reicht, sich die Maske um den Hals oder zu bänzeln, um dann besser mit feuchter Aussprache am Handy zu diskutieren. Glücklicherweise sind solche Kandidaten eher selten.
Raus aus dem Zug in Hammah, und von dort auf dem vertrauten Weg, vorbei an den Fundorten vergangener fast immer erfolgreicher Radiosondenjagden. Das schöne an der Fahrt mit dem Rad: Man kriegt viel von der Natur mit. Kuckuck ist da, Dorngrasmücken unternehmen kurze Singflüge in den Knickbäumen. In einer Horde von Bachstelzen ein gelber Klecks: Eine Schafstelze. Störche stehen auf den Feldern. Bei Drochtersen ein schneller Scan der Straßengräben und Knicks, ob man eine Spur von P21503798 vom August 2019 findet. Die recht gute Prediction liegt direkt an der Straße, aber Rapsfelder und ein Wohngebiet liegen direkt daneben. Ich verbringe nicht viel Zeit mit dieser Suche, da ich nicht ernsthaft mit einem Fund gerechnet habe.
Die ehemalige Elbinsel Krautsand kenne ich noch nicht. Ich bin sehr erstaunt, dass die Gehöfte genau wie auf den Halligen auf Warften stehen. Und einen Leuchtturm gibt es auch. Und am Ende der Straße Leuchtturmweg liegt die Koppel mit der Sonde.
Tower Power Uetersen hatte die Sonde bis in 55m GPS-Höhe verfolgt, und die Prediction kann mit derart großartigen Daten kaum einen Fehler aufweisen. Ich rechne mit einer Positionsgenauigkeit, die sich von einem GPS-Empfang am Boden nicht signifikant unterscheiden sollte. Insofern sinkt mein Optimismus auch nicht auf Null, als ich den Acker sehe: Ein hohes Rapsfeld in voller Blüte, in dem jede Sonde sofort versinkt. Immerhin zerstreut das meine Befürchtung, dass ein Spaziergänger die auf dem Präsentierteller liegende Sonde mitgenommen haben dürfte.
Glücklicherweise gibt es eine passende Treckerspur, die grob in die richtige Richtung führt, so dasss ein zerstörungsfreier Zugang besteht. Aber aus 70m Distanz lässt sich nichts erkennen.Wahrscheinlich ist alles bis zum Boden des Rapsfelds durchgefallen. Am Ende der Spur auf der anderen Seite des Feldes hat man Zugang zu parallelen Treckerspuren, die in 20-25m Abstand das Feld durchziehen. Ich nehme die, die direkt auf die vermutlich sehr exakte Vorhersageposition zielt. Beim Näherkommen wird deutlich, dass die Position doch etliche Meter im Rapsfeld liegt. Man sieht nichts, und hineingehen wäre auch schwierig, weil die Pflanzen extrem dicht stehen. Aber vielleicht sollte man ein paar Meter weiter gehen, denn der Fallschirm sollte ja etwa 50m weiter in Richtung der Spur liegen, vielleicht sogar dichter an der Spur als die Sonde. Und tatsächlich: Nach etwa 25 Metern sehe ich rechterhand die Schnur auf den Rapspflanzen liegen, in 5 Metern Entfernung. Ohne die tollen Daten aus Uetersen hätte ich an dieser Stelle keine Chance gehabt.
Die Schnur kommt immer näher, in ihr hat sich sehr viel Ballonrest verfangen. Das erklärt die merkwürdige Aerodynamik des Abstiegs. Und am Ende liegt der Fallschirm exakt in der Treckerspur
Als ich aus dem Rapsfeld draußen bin, bin ich, obwohl ich praktisch nur auf den Treckerspuren unterwegs war, komplett gelb. Nicht nur kleben an der gesamten Ausrüstung überall die Blütenblätter. Sondern alles Textil ist gelb voll Rapspollen.
Yellow Jeans, der neue Modetrend:
Zurück am Fahrrad beim Einpacken singt im nahen Baum eine Nachtigall. Ungewöhnlich leise, denke ich, aber unverkennbar. Drei Minuten lausche ich andächtig, dann schaltet das Vieh in den Fitislaubsänger-Modus um. Ein Gelbspötter, die sind bekannt für derartige Copyrightverletzungen. Aber normalerweise bauen sie einzelne nachgemachte Motive in ihren eigenen Gesang ein, aber der hier macht das anders: Er macht einen auf Nachtigall und baut ANDERE Fremdmotive ein, und alle 5 Minuten mal kurz was eigenes. Kannte ich so noch nicht.
Soll ich noch eine nur 900m entfernte weitere Meppener Sonde versuchen? Die ist vom September 2019, so ähnlich wie die vorhin. Ich entscheide mich dagegen: Wahrscheinlich längst weg, man müsste auch erst einmal den Zugang erkunden. Und wenn ich die 20km nach Hammah noch bei Tageslicht zurücklegen will, sollte ich mich auf den Heimweg machen. Den kann ich gemütlich antreten, denn den nächsten Zug kriege ich auch mit einem Sprint nicht, aber den übernächsten ganz locker. Kurz vor dem Sonnenuntergang gelingt eine Taghimmelbeobachtung der Venus. Auf dem Bahnhof Hammah fliegen Maikäfer und Fledermäuse um die Laternen. So kann ich mir die halbe Stunde bis zur Ankunft des Zuges vertreiben.
Karte aller Sondenfunde hier