Sondenfreunde aus Baden Württemberg haben es derzeit nicht leicht. Nächtliche Ausgangssperren, und tagsüber werden Kaltsondenjagden als Bewegung an frischer Luft getarnt. Hier im Norden ist das alles noch nicht so restriktiv, obwohl man bei meiner Öffi-Faltradmethode sehr genau überlegen muss, wann und wo man sich in die Verkehrsmittel traut. Sehr gut ist in der letzten Zeit die Maskendisziplin. Heute morgen habe ich daher spontan beschlossen, mich an frischer Luft zu bewegen und das als Kaltsondenjagd zu tarnen. Das Kehdinger Land ist hierfür ganz geeignet, weil es für viele Leute, inklusive meiner Person, einfach zu weit weg ist. Auf plattem Marschland ist das Fahrradfahren ein Genuss - nicht umsonst ist Holland eine Fahrrad-Nation.
Am Wochenende gilt meine Abo-Karte im gesamten HVV-Bereich, und man hat etwas Zeit für eine weitere Anreise. Auch sind die Regionalzüge leer - sehr angenehm. Am Vortag war die Norderney-Sonde bei Hemmoor gelandet - das Hauptziel. Und zwei weitere Kaltsonden liegen in der Gegend; allerdings würden die eine längere Radtour benötigen. Und außerdem sind sie schon ein wenig länger am Boden. Wer weiß, ob sie noch da sind. Die Gegend liegt aber sehr nah an den Empfangsanlagen von Kurt. Für ihn und die Uetersener Sondenfreunde ist es rein luftlinientechnisch ein Katzensprung, aber dazwischen liegt die Elbe. Und die Anfahrt durch den Elbtunnel oder die Elbfähre bei Glückstadt und anschließend über Landstraßen ist weit und nervig. So kommt es, dass hier mitunter Kaltsonden mit sehr genauer Prediction in der Natur herumoxidieren...
Sondentyp: RS41-SGP
SN:S0610840
Frequenz: 404.1 MHz
Timerkill: keiner
Startstation: Norderney (WMOID:10113)
Flugdatum: 11.12.2020 12:00Z
Durchschnittliche Aufstiegsgeschwindigkeit: 4.65 m/s
Maximale Geschwindigkeit: 181 km/h bei 30106 m
Durchschnittliche Geschwindigkeit: 60.17 km/h
Maximale Höhe: 32924 m
Durchschnittliche Fallgeschwindigkeit: 7.82 m/s
Landegeschwindigkeit: 3.8m/s
Track radiosondy.info
Landestelle: Hemmoor, LAT, LON: 53.7111611,9.158272, Google Maps
Status: geborgen am 12.12.2020 um 10:01 UT
Methode:Tawhiri-Prediction nach Radiosondy-Daten
Also geht es am frühen Morgen mit dem Regionalzug nach Hemmoor. Es sind nur wenige Grad über dem Gefrierpunkt bei etwas Sprühregen - kein allzu motivierendes Wetter für eine Radtour. Aber zur ersten Sonde sind es nur etwa 4-5km. Sie ist gestern fast in den Fluss Oste gefallen und muss jetzt auf oder an dem Deich liegen.
Die Wege sind auf Open Streetmap nicht verzeichnet. Vom Weg aus sieht man sofort den Fallschirm. Die Sonde ist ca. 70-90m weiter geflogen als gedacht. Die Marschwiese ist einfacher zugänglich als befürchtet, da sich in dem tiefen Graben kaum Wasser befindet. Erstaunlicherweise ist die Schnur in der Mitte zerrissen, aber komplett vorhanden.
Nach der Bergung geht es zurück Richtung Hemmoor. Der kalte Sprühregen wird immer stärker. Da die angedachte Tour zu den weiteren Kaltsonden recht weit ist, bin ich fast schon soweit, wieder nach Hause zu fahren. Aber dann bemerke ich, dass ich den nächsten Zug heimwärts knapp verpassen würde. Eine Stunde auf dem kalten Bahnsteig rumsitzen hat auch keinen Reiz. Auch lässt der Sprühregen jetzt deutlich nach. Also zieh ich mir ein paar wärmere Klamotten an, und los geht es. Meine Motivation steigt deutlich an, und irgendwann geht es richtig gut voran.
Überall sitzen Bussarde auf den Alleebäumen. Überall fliegen Wachholderdrosseln herum. An einer Stelle passiert die Straße ein Torfabbaugebiet. Links und rechts fahren Feldbahnen, das Werk nennt das Ganze am Eingangstor lieber nicht Torfproduktion, sondern Herstellung von Substraten.
Links zweigt der Weg zu Sonde Nr. 2 ab. Tatsächlich war ich während ihrer Landephase gar nicht weit weg unterwegs gewesen. Aber so ein Faltrad hat kein Gaspedal, und meine Zeit nach hinten heraus war nur begrenzt, so dass ich damals nichts unternehmen konnte.
Sondentyp: RS41-SGP
SN: R2340388
Frequenz: 405.1 MHz
Timerkill: keiner
Startstation: Meppen (WMOID:10304)
Flugdatum: 03.11.2020 9:00Z
Durchschnittliche Aufstiegsgeschwindigkeit: 4.65 m/s
Maximale Geschwindigkeit: 222 km/h bei 8638 m
Durchschnittliche Geschwindigkeit: 107 km/h
Maximale Höhe: 23250 m
Durchschnittliche Fallgeschwindigkeit: 12.58 m/s
Landegeschwindigkeit: 8m/s
Track wetterson de und Radiosondy, N.N. Höhen
Landestelle: Wolfsbruch bei Wischhafen, LAT, LON 53.7520232,9.2946131 Google Maps
Status: Geborgen am 12.12.2020, 11:54UT
Methode:Tawhiri-Prediction nach Radiosondy-Daten
Sehr große Chancen rechne ich mir da nicht mehr aus. Der Flug war vor immerhin 38 Tage, und die Landestelle liegt nur 100m von einem Haus entfernt. Die Besitzer biegen gerade ein, als ich auftauche. Sie haben von der Radiosonde nichts mitbekommen und erlauben mir den Zutritt. In den Bäumen hängt nichts. Auf dem benachbarten Wiesenstreifen ist ebenfalls nichts zu erkennen. Aber da liegt eine Schnur auf dem nächsten Streifen! Ab da ist alles einfach.
Die Besitzerin ist interessiert und kriegt die Sonde erklärt, und weiter gehts.
Die nächste Sonde hatte eine sehr dramatische Landephase.
Durchschnittliche Aufstiegsgeschwindigkeit: 4.65 m/s
Maximale Geschwindigkeit: 124 km/h bei 30597 m
Durchschnittliche Geschwindigkeit: 46 km/h
Maximale Höhe: 32376 m
Durchschnittliche Fallgeschwindigkeit: 9.17m/s
Landegeschwindigkeit: 4.2m/s
Sie kam aus Schleswig und drohte im Raum Glückstadt niederzugehen, sehr zur Freude von Hein. Je tiefer die Sonde kam, umso besser funktionierte der Fallschirm. Die vorhergesagte Landestelle verschob sich immer mehr Richtung Elbe und lag dann auf Höhe der Fahrrinne. Erst Kurts allerletzte Positionen zeigten, dass es die Sonde ganz knapp über den Fluss bis auf das Südufer geschafft hatte. Dort lag sie nun in dem nicht ganz leicht zugänglichen Deichvorland. Teile davon sind Vogelschutzgebiet, andere dienen als Schafweiden. Die ganze Gegend ist teilweise schlickig und wird von einem Labyrinth von Gräben durchzogen. Leider bin ich beim ersten Versuch auf der falschen Seite des Grabens.
Versuche einer Bergung mit der 10m Stange scheitern. Ich kann den Schirm zwar greifen, aber die Schnur ist drüben verhakt. Ich verliere zu allem Überfluss den Haken aufgrund einer mentalen Fehlleistung. Ich muss ganz zurück zum Deich, und der Streifen gegenüber sieht abschreckend nass und schlickig aus. Ich finde einen Zugang, und der Weg zur Landestelle erweist sich als einigermaßen begehbar. Die Sonde selbst liegt auf einer trockenen Wiese. Die Schnur hängt im angetrockneten Matsch von dem ausgebaggerten Graben fest. Ich kann sie freizerren und muss zur Fallschirmbergung nicht mehr durch den Schlick.
Insgesamt ist dies eine aufwändige Bergung: 1km hin, 1km zurück auf beiden Seiten und dann noch mal 500m, um das diskret deponierte Fahrrad zu holen - ich hatte nämlich das Schloss zuhause vergessen - also 5km Schlickrutschen. Dazwischen eine längere Phase erfolgloser Stangenversuche. Jetzt genieße ich die schöne Rückfahrt durch die neblige Marsch in der Abenddämmerung bis zu dem Dorf Hamelwörden. Ich könnte jetzt 20km bis Hemmoor zurückradeln, aber ziehe doch den Bus nach Stade vor. 36km Radtour sind genug, zumal der Sprühregen wieder einsetzt.
Übersicht über alle Sondenfunde hier
Karte aller Sondenfunde hier
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