Donnerstag, 27. Mai 2021

FTP ist "obsolet" und unsicher


Sondentyp: RS92-SGPL
SN:
M4443189
Frequenz:
403.0 MHz
Timerkill: keiner
Startstation:Pinneberg
(WMOID:-)
Flugdatum: 26.5.2021 12:00Z
Track Radiosondy
Maximale Höhe: 23221m
Durchschnittliche Aufstiegsgeschwindigkeit: 4.57 m/s 
Landegeschwindigkeit: 19.5 m/s
Landestelle: Bad Oldesloe, LAT, LON:
53.79799,10.35050, Google Maps
Status: Kaltsondenbergung gemeinsam mit Arne; 26.5.2021, 14:44 UT
Methode: Tawhiri-Prediction nach Radiosondy-Daten

 Es beginnt alles an einem etwas hektischen Nachmittag als Bernd über Whatsappp anfragt, ob ich die Sonde aus Sasel im Blick hätte. Habe ich nicht. War gerade in Hamburg im Labor, habe noch zuhause etwas zu arbeiten und abends einen Vereinstermin. Wo soll sie denn landen? Bei Krummesse vor den Toren Lübecks - mit dem Auto einigermaßen erreichbar, aber auch nicht gerade um die Ecke. Dann gucke ich auf Radiosondy - und da ist eine weitere Sonde in der Luft. Aus Pinneberg, uralte Nummer. Es ist doch tatsächlich eine RS92! Zielgebiet Raum Bad Oldesloe, wahrscheinlich über die Autobahn von Schmalenbeck in 20 Minuten erreichbar.

Mit RS92 aus Pinneberg haben wir eigentlich nicht mehr gerechnet. Bei der letzten Serie waren es relativ ramponierte Exemplare, und mitten in der Serie folgten dann RS41. Also hatten die wohl den letzten Karton der alten Schätzchen aufgebraucht. Dem ist offenbar nicht so, aber die Sonde ist immerhin auch schon 5 Jahre alt. 

Also nehme ich besser ein Notebook mit, weil man mit Zilog die Qualität der sehr problematischen Frames nach der Landung besser abschätzen kann als mit einem TTGO. Rasch die neuesten Rinex-Daten herunterkopieren. Ich rufe die entsprechende Seite auf, und...es öffnet sich ein Fenster: "Mit welcher Software wollen Sie die Seite aufrufen"? Vorgeschlagen wird Chrome - und auch das geht nicht. Es stellt sich heraus, dass die Browser FTP nicht mehr unterstützen, weil das Protokoll "unsicher" und "obsolet" sei. Wobei letzteres angesichts der Massen von wissenschaftlichen Daten im Netz, die über FTP verbreitet werden, frech ist. Irgendwie lädt der TTGO ebenfalls keine Rinex-Daten herunter (am Abend tut er es, ich höre dann, dass die entsprechenden Server gerne mal down sind). Also wird das nichts mit der Decodierung der gelandeten Sonde. Ich muss also ohne Decodierung vor Ort auskommen. Eine Peilantenne habe ich in Schmalenbeck herumliegen und kommt mit. Ich nehme auch den Rechner mit. Vielleicht kann ich das Signal aufzeichnen und nachträglich decodieren. 

Mittlerweile ist die fallschirmlose Sonde bei Bad Oldesloe wie ein Stein heruntergefallen. Leider hat Bernds Station, die unweit davon liegt, den Sondenflug nicht erfasst. Probleme beim Herunterladen von Rinex-Daten haben offenbar auch andere - was gerade kein Trost ist. Dadurch beträgt die Höhe der letzten Sondenposition  769m, was die Genauigkeit der Landeprediction stark herabsetzt. Ich fühle mich daher irgendwie auf meinen persönlichen Stand von 2016 zurückgebombt. Die Position befindet sich am Südrand des Firmengeländes von Hako; ob man da so einfach mit einer Peilantenne herumspazieren kann?

Durch heftige Regenschauer bin ich über die Autobahn schnell vor Ort. Der Parkplatz der Firma ist legal benutzbar, weil ein paar Parkbuchten für die Besucher des nahen Friedhofs reserviert sind. Von dort aus habe ich aber keinen Empfang; weder mit dem TTGO noch mit dem SDR. Hier sendet nichts mehr. Bernd kommentiert den Befund via Whatsapp: "Da hat sich wohl beim Einschlag die Batterie gelöst". Das hat man manchmal bei der RS92.

Ich beginne das Gelände zu erkunden. An der Prediction stehen Werkstatt- und Lagergebäude, Haus des Betriebsarztes. Probleme beim Zugang oder Verbotsschilder gibt es nicht. Ich erkläre einem der herumstehenden Lagerhausleute den Grund meines Auftritts - er lässt mich machen. Aber da ist nichts. Ich gucke hier, ich gucke da, etwas Sondenartiges ist nicht erkennbar. Für ein massiveres Absuchen des Geländes bräuchte ich auf jeden Fall eine offizielle Genehmigung,  aber angesichts der ungenauen Prediction und ohne Signal wüsste ich auch nicht, wo ich überhaupt suchen sollte. So reicht es nur für einen flüchtigen Blick. Also zurück zum Auto. Vielleicht guck ich noch mal auf der anderen Seite, wo sich der Aufgang zum Friedhof und ein Bahnübergang  befinden. Richtungsmäßig ist das gar nicht so schlecht und vor allem kein Firmengelände. Also laufe ich los und sehe nach wenigen Metern die unverkennbaren Trümmer einer RS92 auf der Straße liegen. Kein Verkehrstod, sondern die Sonde ist beim Einschlag in sämtliche Komponenten zerteilt worden: Vorderteil, Rückteil und Batteriepaket liegen lose verstreut auf dem Pflaster. Bernd hatte Recht.

 

 

 

Es fehlt die Styroporverkleidung des Hinterteils. Ich finde sie auf einem Beet auf der anderen Straßenseite. Die Schnur wird abgeschnitten und, weil sie Tendenz hat, nach oben zu entschwinden, an einem Ast festgeknotet.

Die Schnur geht in einen Baum und von dort aus Richtung Friedhof. Arne ist inwischen aufgetaucht. Gemeinsam erkunden wir den Friedhof. Arne erspäht den kleinen roten Ballonrest im Baum. Ich habe da als Rotgrünblinder große Schwierigkeiten. Leider hängt das Ding etwas hoch, und man kommt auch nicht zu einer guten Position für die 15m-Stange. Wir kommen zu dem Schluss, dass Arne drüben testhalber die Schnur löst - vielleicht kommt der Ballonrest dann runter. Das gelingt. Ich kann die im Zeitlupentempo absinkenden Reste dann mit der Stange zu uns befördern, Arne wickelt schon die Schnur auf, und so haben wir mal wieder das gesamte Gespann aus der Umwelt entfernt. Die Sonde behält Arne - es ist seine erste RS92. Man sollte sie problemlos wieder zusammenbauen können, das Gehäuse ist kaum beschädigt.



 


Im Nachgang stellt sich heraus, dass man mit Filezilla an die Rinex-Daten herankommt. Auch Bernd wird seinen Raspby anders konfigurieren, so dass er sie wieder herunterlädt. Inzwischen sind RS92 so selten, dass solche Probleme unbemerkt bleiben. Dieses Mal konnten wir unsere IT-Probleme jedenfalls mit Kaltsondenjagdinstinkten überwinden.


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