Sonntag, 10. Oktober 2021

Fake News oder "Wissen Sie eigentlich, wo Sie hier sind und was Sie tun?"

 

Sondentyp: RS41-SGP
SN:
T3321140

Frequenz:
403.97 MHz

Timerkill:
keiner

Startstation:
Krummendeich (WMOID:-)
Flugdatum: 21.9.2021 17:00Z
Track
wettersonde.net

Maximale Höhe:
27527m

Durchschnittliche Aufstiegsgeschwindigkeit
: 4.73 m/s

Landegeschwindigkeit:
3.7 m/s

Landestelle: Wilsede,
LAT, LON:
53.16636, 9.99338 Google Maps
Status:
Geborgen am 9.10.2021, 14:40UT durch komplexe Stangenbergung aus > 15m Höhe

Methode:
Extrapolation aus Radiosondy-Daten

 

21.9.2021: Erster Anlauf:  Die Sonde fliegt von dem ungewöhnlichen Startort Krummendeich und landet nahe dem Heidedorf Wilsede. Der wunderschöne rote Totex-Schirm hat es mir angetan. Ich schaffe es mit Öffis und Faltrad nur bis Buchholz. Aber da fällt der Heidesprinter wegen technischer Probleme erst einmal aus. Ich bin rückblickend froh, dass dem so war, denn der Weg war komplizierter als gedacht. Ich hätte die Sonde niemals im Dunkeln bergen können. Den letzten Zug heimwärts hätte ich auch nicht mehr bekommen - der Plan war dann eine Übernachtung in der Sternwarte meines Astrovereins in Handeloh. Gut, dass diese Crash-Aktion nicht zustandekam.

22.9.2021: Zweiter Anlauf: Die Aktion der Nahverkehrsanbieter erlaubt eine Gratis-Anreise nach Wintermoor. Das Faltrad bringt mich nach Nieder-Haverbeck und von dort aus nach Wilsede. Dieses romantische Heidedorf hat den Flair von 1850 eingefroren. Die Straße ist eine für mein Faltrad brutale Kopfsteinpflasterpiste. Rechterhand brutale ausgefahrene Spuren der Touri-Pferdekutschen, links namibiaartiger Schotter, Stichwort "die Pad". Kurz vor Wilsede ein nettes Stück Asphalt, aber die Strecke zur Landestelle ist wieder schlimm. Mehr schieben als fahren, und das über Kilometer. Aber die Landschaft ist die Wucht.




Die mäßig genaue Prediction liegt in einem Kiefernwald. Ich habe große Schwierigkeiten, die Sonde zu finden. Zudem steht die Sonne wegen der länger als geplanten Anreise schon sehr tief, so dass die Bäume schlecht beleuchtet sind. Nach ca. 1 Stunde Suche sehe ich aus der Ferne die Schnur im Fernglas glänzen. Aber schon nach Minuten verliere ich die Sichtung, weil die Sonne untergeht. Ich gehe in die ungefähre Richtung - nichts ist erkennbar. Erst bei einem längerern Scan der Bäume aus einiger Distanz mit dem Fernglas habe ich irgendwann mehr zufällig die Sonde im Gesichtsfeld.

 


 

 

Die Schnur geht über die Kiefer herüber, auf der anderen Seite kann ich weder den begehrten roten Totex-Schirm noch die Fortsetzung erkennen. Einen kurzen Versuch mit der 10m Stange mache ich gegen bessere Einsicht - die Stange ist viel zu kurz. Hier müsste man mit der 15m Stange wiederkommen. 

Immerhin  versöhnt die der Naturgenuss in der abendlichen Heide auf der Rückfahrt nach Wilsede mit der ernüchternden Erfahrung.



Wie komme ich zurück? Die Straße nach Niederhaverbeck war schon auf der Hinfahrt echt heftig. Geht es vielleicht über Undeloh besser? Man könnte die Bahnstation in Handeloh erreichen. Man kann ja mal testhalber ein paar Meter in Wilsede auf diese Route abbiegen. 

Ich biege also im Dorf rechts ab, aber 30m zu früh. Ich bemerke meinen Irrtum. Hofeinfahrt, Feldweg. Muss zurück aber bergauf schieben, weil der Weg die erwähnte Beschaffenheit hat. Oben kommen mir ein paar Leute entgegen. Die strahlen mir sofort mit ihrer ultrahellen LED-Taschenlampe direkt ins Gesicht und fragen mich, ob sie mir helfen können. Ich bitte Sie, die Lampe  woanders hin zu richten, worauf die Gegenfrage "Wieso?" erschallt. "Das blendet". Dieser Hinweis hat erst nach quälenden 30 Sekunden einen Effekt. "Sie können mir vielleicht aber wirklich helfen. Können Sie mir sagen, wie der Weg nach Undeloh ist?" "Hä?" "Naja, ist das auch Kopfsteinpflaster oder asphaltiert?". "Kopfsteinpflaster, die ganze Strecke". "Können wir Ihnen nicht doch helfen, Sie brauchen doch Hilfe!" "Haben mir schon geholfen, die Auskunft war schon eine gute Hilfe". "Wissen Sie eigentlich, wo Sie hier sind und was Sie hier tun?" "Ja, ich bin in Wilsede und fahre gleich über Neu-Haverbeck nach Wintermoor". "Wissen Sie überhaupt, wie Sie da hinkommen?" "Ja." "Woher denn?" "Na, ich habe eine digitale Karte, mit der bin ich ja auch hergekommen". Allmählich merke ich woher der Wind weht: Wer im Dunkeln ein Fahrrad durch ein Heidedorf schiebt, ist eindeutig eine hilflose Person. Ich versichere, dass ich exakt weiß, was ich mache. "Wirklich? Wir haben gerade überhaupt nicht den Eindruck". Mir wird es langsam zu blöd und ich verabschiede mich.

Die ersten 2 Kilometer sind Asphalt. Irgendwann bemerke ich, dass mir in einigem Abstand ein Auto folgt. Sehr langsam, immer den Abstand wahrend. Das kann nur ein Dorfbewohner sein, denn Wilsede ist für fremde Autofahrer gesperrt. Nach 2km, am Ende der Asphaltstrecke, macht es einen U-Turn und fährt nach Wilsede zurück. Bergab geht es besser auf der Schotterpassage als auf dem Hinweg, und ich erreiche problemlos Wintermoor.

 25.9.2021: Real News? Fake News?: In unserer Whatsappgruppe werde ich darauf aufmerksam gemacht, dass ich mir den Tripp mit der 15m-Stange nach Wilsede auch schenken kann....Tatsächlich, die folgende Eintragung in  Radiosondy ist eindeutig:




Ein paar Tage später gucke ich mir das noch mal genauer an und bekomme einige Zweifel. Von dem Kollegen habe ich noch nichts gehört, was nichts besagen muss. Ich guck mal in Radiosondy nach: Das ist seine zweite Sonde, beide weit von seinem Wohnort gefunden. Hmmm. Also ich habe schon ein paar Sonden mehr auf der Uhr und fand es extrem schwer, diese Sonde überhaupt zu sichten. Ohne Spezialequipment kommt man bei einem Bergungsversuch in diesem Fall gar nicht weiter. Ich besaß sowas bei meiner zweiten Sondenbergung nicht, und selbst mit einer langen Teleskopstange wird das gewiss nicht einfach gewesen sein. Beeindruckend gut sind diese Null-Einsteiger heutzutage, Respekt. Aber dann: "Lüneburger Heide, Wald"??? Also Wilsede liegt in der Lüneburger Heide, das stimmt. So nennt man gemeinhin die Gegend zwischen Hamburg und Hannover. Dass da ein Wald ist, sagt einem Google Maps. Wenn ich eine Sonde nach einer extrem schwierigen technischen Bergung erbeute, schreibe ich doch ein paar konkretere Stichworte zu den Fundumständen dazu. So eine Aktion an der Grenze der Reichweite der längsten Teleskopstangen ist nicht ganz einfach, und wenn einem sowas zum ersten Mal gelingt, ist man stolz wie Bolle, oder? Ist das jetzt norddeutsches Understatement oder Maulfaulheit? Für die Story spricht, dass die Koordinaten auf ca. 16m mit meinen übereinstimmen. Vielleicht kennt er aber meine Homepage? Irgendwann verdichtet sich da ein Verdacht, dem man eigentlich gar nicht näher nachgehen möchte. Hinfahren, nachgucken? Hmm, weiß nicht, ich mag das Misstrauen nicht an mich ranlassen. Und dem Misstrauen würde ich ja nachgeben, wenn ich fahre.

9.10.2021 Dritter Anlauf: In unserer Außensternwarte in Handeloh findet der Sternwarten-Workshop statt. Ich werde mit dem Auto hinfahren, und was spricht gegen einen kleinen Umweg über Wilsede? Wenn die Sonde weg ist - ich kenne da noch 2-3 Kaltsonden. Ich parke das Auto in Döhle. Der Weg nach Wilsede ist für Privat-PKW gesperrt. Also die 15m-Stange geschultert und losgewandert. Nach 2,5 km bin ich vor Ort. Erste Überraschung: Im Wipfel einer Kiefer sehe ich schon auf dem Hinweg den wunderschönen roten Totexschirm in der Sonne glänzen.Wie konnte ich den letztes Mal übersehen? Was für einen Unterschied eine vernünftige Beleuchtung macht!

 


 


Leider unerreichbar hoch. 

Ich muss etwas herumsuchen, um den richtigen Baum zu finden, aber an dem hängt  definitiv eine RS41......

DEWIS9, wissen Sie eigentlich, wo Sie sind, was Sie tun und was "geborgen" bedeutet?

Die Bergung erweist sich als extrem kompliziert. Ich brauche mehr als eine Stunde. Die Sonde hängt ziemlich genau 15m hoch. Immer wieder verfängt sich die Stange im Gestrüpp. Sie ist auch etwas zu kurz. Zwar kann ich die Sonde antippen, aber nicht die Schnur darüber ergreifen. Stemmt man die Stange hoch, hat man zu wenig Kontrolle über die schwankende Mastspitze. Ich verlängere sie mit einem Totastzweig und etwas Tape und stelle einen Holzstumpf darunter. Das bringt 25cm. Erst im ca. 10. Versuch kann ich die Sondenschnur einhaken. Die Hoffnung, dass man mit dem Schnurzug auch den wunderschönen Totexschirm aus dem Baumwipfel ziehen kann, erfüllt sich leider nicht. Aber die Sonde kommt runter. Hier das Beweisfoto:

 

  

Das ist der zweite Fall von Sondenbergungsfake in diesem Jahr in unserer Region. Beide Fälle betreffen übrigens schwierige Baumlander. Auf beide sind wir nicht reingefallen. Traurig! Leute, was soll das? Es fallen massenhaft Sonden vom Himmel, ehrliche Sondenjagd ist machbar, Herr Nachbar. 

Beim Zusammenpacken habe ich Schwierigkeiten, das oberste Segment der Teleskopstange wieder einzuschieben. Obwohl ich die Schnur-Haken-Technik verwendet habe, war der Zug wohl etwas zu stark. Da ich mein Fahrradwerkzeug wegen Auto-Anreise nicht dabei habe, kann ich mir nicht helfen. Also stolziere ich mit dem extrem langen Teil durch die Heide. Immerhin passt das Konstrukt noch in meinen Polo, so dass die Heckklappe gerade noch zugeht. 

Weiter geht es nach Handeloh zu unserem Workshop. Der erste seit langer Zeit. In der Sternwarte habe ich Zugriff auf Werkzeug und kann das Problem mit der Stange rasch  beheben. 

 
Übersicht über alle Sondenfunde hier
Karte aller Sondenfunde hier


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