Donnerstag, 17. März 2022

!!! Ess-Geh-Peeeh Weeh !!! Einflug der militärischen Museumssonden

Sondentyp: RS92-SGPW (!)
SN:
E(!!)4430057
Produktionsdatum: 28.10.2009

Frequenz:
402.2 MHz

Timerkill:
keiner

Startstation:
Truppenübungsplatz Munster Süd
Flugdatum: 17.3.2022 10:00Z
Track
radiosondy
Maximale Höhe:
19435m

Durchschnittliche Aufstiegsgeschwindigkeit
: 4.9 m/s

Landegeschwindigkeit:
18.9 m/s

Landestelle: Lauenburg,
LAT, LON: 
53.37752,10.60105, Google Maps
Status:
geborgen 17.3.2022 12:44 UT
Methode: Decodierung mit Notebook, SDR und Zilog (oldschool)

Es begann alles merkwürdig zu werden. In Europa bricht ein Krieg aus, und in Idar-Oberstein starten uralte Exemplare der DFM09 und eine höchstwahrscheinliche DFM06. Kurz darauf erheben sich vom Truppenübungsplatz Munster Süd zwei extrem ungewöhnliche Radiosonden:  E4430064 und E4473511. Sonden des Typs RS92 sind bereits Rariritäten. Der eigentliche Knaller ist die Nummer mit dem Anfangsbuchstaben "E". Das  bedeutet: Baujahr 2009! Die Sonden landeten in unmittelbarer Nähe zueinander bei Bad Bevensen. Die hohe Landegeschwindigkeit ließ auf einen Verzicht auf einen Fallschirm schließen - was bei einem vermuteten Gewicht von 250g zumindest sportlich ist. Manch einer (auch ich) suchte zur Erklärung der BW-Oldyparade nach spekulativen Zusammenhängen mit dem aktuellen Weltgeschehen.

Carolin Liefke aus Heidelberg versuchte mich per Telegram anzupieksen, da doch mal sofort vorbeizufahren. Aber Bad Bevensen ist weit weg, ich hatte an dem Abend kaum spontan verfügbare Zeit. Bis ich da aufschlage, ist die inzwischen bei den ganzen Neu-Radiosondenjägern heißbegehrte RS92 garantiert rückstandsfrei verdampft. Ich sah es entspannt: Wozu hat man über 60 von den Dingern im Schrank? Später aber fragte ich mich, ob das weise war: Was ist, wenn in diesem Saurier eine Wasserbatterie als Stromquelle fungiert?

Nächsten Tag hatte ich etwas Zeit, und die Sonden waren anders als erwartet nicht als geborgen eingetragen. Also Faltrad geschultert und los! Nicht nach Bad Bevensen, das ist nicht so richtig im HVV, zumindest nicht in der Woche. Aber von Bienenbüttel sind es nur ein paar Kilometer mehr. Die beiden Landestellen erreiche ich nach etwas Gegenwind-Strampelei. Um es kurz zu machen: An keiner der beiden Landestellen lagen erkennbare Ballonreste, Schnüre oder weiße Boxen. Angesichts der jeweils relativ guten Predictions gehe ich eher davon aus, dass die Sonden von einem anonymen Sondensucher, der nichts einträgt, gezielt abgegriffen wurden. Klassischer Gorbatschow eben. Es wäre ja auch langweilig, wenn man immer erfolgreich wäre. Dennoch wurmte mich das mit der Nicht-Eintragerei ein wenig, weil ja somit auf ewig unbekannt bleiben wird, was mit den Sonden los war. Und die Dinger haben weit über den norddeutschen Raum hinaus für reichlichen Diskussionsstoff gesorgt. 

17.3.2022: Ich hänge in einer Zoom-Konferenz. Ein Telegram-Fenster poppt auf meinem Desktop auf, wieder mal Caro: "Die nächste E-RS92 fliegt, diesmal mehr in deine Richtung". Watt? Könnte sich das Rätsel um die militärischen Museumssonden doch noch klären lassen?  

 

Die anderen Teilnehmer der Konferenz haben glaube ich von meiner gewissen Abgelenktheit nichts mitbekommen, und ich habe auch währenddessen der Versuchung widerstanden, mal auf den Sondenseiten zu luschern. Danach stellt sich heraus, dass die Sonde inzwischen direkt am alten Grenzübergang Lauenburg-Horst in die chronisch feuchte Stecknitz-Niederung geplumpst ist. Etwas Zeit ist vorhanden. Also diesmal wirklich beherzt losfahren!

 


Wie geht das noch mit den RS92? Naja, etwas Erfahrung mit den Dingern hat man ja. Schnell Rinex-Daten heruntergeladen, Notebook, SDR, Moxon und Gummistiefel eingesteckt. Der TTGO sollte die Rinex-Daten selber runterladen und mit der RS92 klarkommen, aber da der die d- und  dop-Werte nicht anzeigt, ist das RS92-Suchen eher Blindflug. Denn die spacige Helix-Antenne der RS92 liegt nach der Landung gerne am Boden. Aufgrund der schwankenden Satellitengeometrie braucht man einen Anhalt, welche Genauigkeit zu erwarten ist, und ein Mittel, die schlechten und die guten Positionen auf einen Blick zu unterscheiden. Alles rein ins Auto, kurz noch den Aufbruch in der Whatappgruppe bekanntgeben und ab. Erst auf dem Weg fällt mir auf, dass mein Hinweis "ist eine E-Sonde, ich bin unterwegs" für manchen Sondenjäger nicht verständlich sein könnte.

Am Parkplatz am alten Grenzübergang halten wohl selten KFZs. Ein Auto macht einen U-Turn, biegt ein. Der Fahrer fragt mich, ob ich ein Problem habe. WOW! Das finde ich ja sehr aufmerksam. Ich dachte schon, der hätte es auch auf die RS92 abgesehen. Ein anderes Auto biegt ein. Die Leute kommen aus der Ukraine und fragen nach der Richtung zum Flüchtlingsheim. Da ich ja nicht in Lauenburg wohne, bin ich etwas perplex, aber dann fällt mir ein, dass ich da mal auf dem Weg zu einer Bergener Sonde vorbeigeradelt bin. Ich fand es damals sehr bizarr, dass die alte Grenztruppenkaserne von Horst heute ein Flüchtlingsheim ist. Ich beschreibe den Leuten den Weg und wünsche ihnen alles erdenklich Gute. 

So, nun aber mal losgelegt. Der TTGO empfängt aus ca. 400m - nichts. Der Rechner ist bereits hochgefahren. SDRsharp starten, 402.2MHz sind schon eingestellt. Jawoll, da ist im Diagramm der altbekannte RS92-Peak, und der sonore RS92-Sound ist hörbar. Für 400m Distanz ist das Signal ziemlich schwach. Moxon besser ausrichten, Zilog starten, und schon sprudeln die Koordinaten. Von damals weiß ich: Wenn man mit Zilog was decodiert, hat man halb gewonnen. Wie sehen die  DOP und d-Werte aus? So richtig exzellent! Die Koordinaten streuen kaum und dürften auf weniger als 10 Meter stimmen. Koordinaten ins Handy tippen, Auto abschließen. Brauche ich vor Ort keinen Empfang? Nein, diese Positionen sind auch nicht schlechter als bei jeder RS41. Bodennah ist die Position angesichts der angezeigten Höhe und wegen des schlechten Empfangs. Also außer Gummistiefeln alles im Auto lassen und los. 

Erst ein Acker, dann ein paar 100m Feuchtwiese am Ufer der Stecknitz.

 

Die Schnur ist schwer sichtbar, aber da liegt was Weißes im Gras....



 

 

 ...ein Abroller und der winzige Ballonrest. Das Setup fällt im Gelände kaum auf. Ob die beiden Sonden bei Bevensen doch noch da sind? Nein, wohl eher nicht.

Und am Ende der Schnur findet sich eine angesichts des Aufschlags mit 19m/s gut erhaltene RS92. Die Helixantenne zeigt waagerecht - damit hatte ich aufgrund der schönen Genauigkeitsparameter nicht gerechnet. Denn gemeinhin hat eine waagerecht ausgerichtete Helixantenne keine schöne Satellitengeometrie und daher unschöne DOP-Werte. Diese aber hält sich nicht an die Erfahrung - sie liegt fast exakt an der erwarteten Position. Mir soll es nur recht sein.



Sooo - und nun das Ding gaaaanz vorsichtig umgedreht und auf den Label geluschert 


Ja, ja, ja ja ja, ui, 🎡🐳🐬🐪🐄🐊!!! Ess-Geh-Peeeh Weeh !!!

Man erinnere sich an alte Zeiten:

SGPL    Lithiumbatterie, typisch für Schleswig
SGPD    zusammengelötete AA Zellen und Zusatzgewichte, typisch für Bergen und Meppen
SGPA    Automatenstartversion, bei uns nur aus Norderney

und SGPW steht für WASSERBATTERIE. Eine Erfindung von vor meiner Zeit. Nur eine 2017er Ozonkiste wurde mit einer Wasserbatterie versorgt - die Sonde war aber damals schon eine RS41. 


 

 

Vorteil der Wasserbatterie: Man kann die Sonde mit eingebauter Batterie ewig lagern und somit beim Lieferanten Mengenrabatte mitnehmen. Erst wenn man die Batterie in Wasser taucht, wird sie aktiviert und kann gestartet werden. Erst durch das Aufkommen der 10 Jahre haltbaren Lithiumbatterien wurden Wasserbatterien obsolet. Auf eine SGPW hatte ich schon angesichts des Baujahrs schon gehofft, aber sicher war das nicht. Übrigens entwickelt die Wasserbatterie stundenlang echte Wärme.

Tatsächlich ist dieses Museumsstück meine zweitälteste RS92. Älter ist nämlich C4853147 aus Pinneberg, Baujahr 2007, geflogen und geborgen 2017. Schon damals hatte ich  auf eine Wasserbatterie gehofft. Aber es war dann am Ende eine SGPD, der man ein SGPL-Hinterteil nachgerüstet hatte. Dennoch ist die heutige Sonde von allen bisherigen Funden die mit dem längsten Zeitintervall zwischen Produktion und Flug.

Militärsonden ohne Fallschirm sind sehr selten. Und dies ist die schwerste fallschirmlose Sonde. Einen Bundeswehrfinderbrief trägt das Teil auch nicht. Daher kann die Bundesrepublik Deutschland diesmal für Schäden aufkommen, die...??? Fazit: Trotz Bergung dieses lebenden Fossils bleibt die Sache weiterhin mysteriös. 


Damit habe ich jetzt alle  RS92-Batterietypen in meiner Sammlung



Soll ich noch nach einem nahen Baumlander oder einer Sonde aus Sasel von vor 2 Tagen gucken? Eigentlich habe ich keine Zeit. Der Baumlander ist auch eher was für Arne, der ist da in letzter Zeit mehrfach drumrumgeschlichen. Die Saselsonde hat eine schlechte Prediction und ich habe kein Fernglas mit. Unentschlossen drehe ich den Zündschlüssel. Und das Auto springt nicht an. Die Uhr am Armarturenbrett zeigt Null. Batterie alle! Das kann doch nicht sein. Ich lege alle Verbraucher still, warte ein wenig. Dritter Startversuch. Wieder dreht der Anlasser nur ganz müde - aber das Auto springt an. Also besser sofort nach Hause fahren und sehen, dass der Motor unterwegs nicht ausgeht. Alle halbherzigen Gedanken an eine schnelle weitere Sondenjagd sind damit verflogen. Ich komme aber sicher zuhause an, und Startversuche des Motors gelingen sofort. Scheint mir, dass ich wohl eine neue Batterie brauche. Und zwar keine Wasserbatterie...

 

Nachtrag: Ich habe mal recherchiert, wo in Europa noch kürzlich RS92-SGPW-Sonden gestartet wurden: Auf dem Schießplatz "Schietkamp" in den Niederlanden. Einige der Seriennummern bezeichnen Sonden, die in der gleichen Woche produziert wurden wie die Exemplare aus Munster-Süd. Bilder aus dem Netz zeigen auch, dass das Setup das gleiche war wie bei meinem Exemplar: Keine Beschriftung, kein Fallschirm.


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Ich vermute daher, dass NATO-Truppen aus Holland in Munster-Süd geübt haben. Und die haben einfach ihre Ausrüstung mitgebracht.


Übersicht über alle Sondenfunde hier
Karte aller Sondenfunde hier

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