Montag, 1. Juli 2024

Ich bin sprachlos

Da glaubt man nach 507 Radiosonden schon alles erlebt zu haben, mit Sonden und auch mit Mitmenschen. Und dann kommt die Sondenbergung, die einen vor ein Rätsel stellt und sprachlos macht. 

Sondentyp: RS41-SGP
SN:
 
V2410001
Produktionsdatum: 2023-06-12
Frequenz: 402.5 MHz
Timerkill:
keiner

Startstation:
Schleswig (WMOID:10035)
Flugdatum: 29.02.2024 12:00Z
Track
wettersonde.net

Maximale Höhe:
31536m
Durchschnittliche Aufstiegsgeschwindigkeit
: 5.33m/s

Landegeschwindigkeit:
3.5m/s

Landestelle: Langenlehstener Tannen,
LAT, LON: 
53.51510,10.763867, Google Maps
Status:
Endgültig geborgen (ohne Batterien) am 30.6.2024, 18:30UT.
Merkwürdige Bergungssituation.
Methode: Lokalisiert am 2.3.2024 nahe der Tawhiri-Prediction. Hing 20m hoch in Kiefer.

Nach der Bergung im Wasserkrüger Weg entscheide ich mich spontan, diesen Baumlander zu kontrollieren. Ich hatte ihn am 2.3.2024 nach langer Suche entdeckt. Die Sonde hing in 20m Höhe in einer Kiefer. 

Foto vom 2.3.2024
 

Die Schnur verlief über einige Bäume und verlor sich dann. Den Fallschirm und den Ballonrest konnte ich nie entdecken. Am 21.4.2024 habe ich die Landestelle das erste Mal kontrolliert - auf dem Weg vom Wasserkrüger Weg. Die Sonde hing, vom Weg aus gesehen, auf der Rückseite der Kiefer und war auch im Fernglas schwerer zu erkennen als beim ersten Besuch. Ich habe mir bei diesmal aber Notizen und Fotos gemacht, die mir künftig die sichere Identifikation des Baums erleichtern sollten. 

Ich kette das Rad an den selben Baum wie immer, schultere 14m-Stange und Rucksack und lege die letzten 200m zu Fuß zurück. Das Problem an dieser Sonde: Wie in vielen Wäldern der Gegend wurde hier der Boden mit Forstmaschinen massiv bearbeitet und anschließend eingezäunt. Der Stamm der Kiefer steht leider 10-15m jenseits des garstigen Forstzauns, die Sonde hing zuletzt noch 5m weiter entfernt. Es gibt in 160m Distanz einen Überstieg. Obwohl keine Verbotsschilder aufgestellt sind, werde ich diese Option nicht nutzen, vor allem nicht, wenn die Sonde drüben nicht eindeutig erkennbar am Boden liegt. Für ein Angeln mit der Stange dürfte es zu weit sein. So ist mein Optimismus gedämpft.

Ich kann diesmal sofort die Schnur im Fernglas erkennen. Das lose Ende ist an einem Ast verhakt, die Sonde ist nicht zu sehen. Der Boden um den Stamm ist besser zu überblicken, als ich es in Erinnerung habe - da liegt kein weißer Kasten.  Was ist hier los?

Vielleicht versteckt sie sich gut getarnt auf der anderen Seite der Kiefer, verhakt in den Nadeln der Kiefer? Ich erinnere mich, dass es letztes Mal sehr schwer war, sie vom Weg aus überhaupt zu sichten. Ich gehe den Zaun entlang. Nach 30 Metern knickt er um 90 Grad nach Osten ab. Jetzt bin ich zwar 50 Meter von der Kiefer entfernt, habe aber einen günstigen Einblickwinkel. Nach wie vor ist im Fernglas bei aller Anstrengung nichts zu sehen.

Ich setze das Glas ab - und was liegt keine 5 Meter direkt vor mir, auf der anderen Seite des Zaunes? Das da!



Aber wie kommt das da hin? Die RS41 liegt 45-50 Meter von der Kiefer, wo ich sie zuletzt gesehen habe. Und Beine hat so eine RS41 keine!

Wie auch immer: Die Sonde ist eine leichte Beute für meine 14m-Teleskopstange. Der Platz ist zum "Angeln" durch den Zaun viel geeigneter als unter der Original-Landestelle. Ich kann mein Glück kaum fassen.




 

Nun wird es  Zeit die Beute zu inspizieren, vielleicht um auch rauszubekommen, wer oder was die Sonde verfrachtet hat. Gegen ein Wildschwein spricht der Zaun - der ist brandneu, da kommen die nicht rein. Vielleicht ein Fuchs? Ob der durch die Maschen kommt? Iltis? Waschbär oder Marderhund könnten den Zaun überklettern. Das Schnurstück ist kurz, was dafür spricht, dass sie vom Baum gefallen ist und ursprünglich unter dem Baum lag. Und die Sonde erscheint auf den ersten Blick intakt. Aber nur auf den ersten Blick:

Da ist eine Beschädigung in der Region der vorderen Verschlussklemme. Hat da jemand geknabbert?


Die hintere Verschlussklemme fehlt komplett, diesmal ohne Beschädigung...


Wenn die hintere Klemme entfernt ist und die vordere nicht mehr richtig schließt, kann man das Gehäuse bestimmt aufbiegen und mal reingucken:



Damit ist die Artbestimmung des Organismus, der sich vor mir die Sonde angeeignet hat, ganz eindeutig: Homo sapiens L.. Nur der kann das. Ich bin komplett baff. 

Der oder die hatte Werkzeug dabei, wenngleich keine sinnvolle Spitzzange. Vieleicht ein Taschenmesser o.ä.. Die hintere Klemme kriegt man mit etwas technischem Verständnis leicht zerstörungsfrei mit improvisierten Werkzeugen auf, die vordere nicht.  Die Batterien hat die Person dann entfernt und mitgenommen. So viel ist klar.

Aber was ist hier passiert? An einen Forstoffiziellen mag ich nicht glauben, der hätte das Ding doch nicht im Wald belassen. War derjenige vielleicht direkt hinter der Sonde her? Die Koordinaten standen z.B. auf Radiosondy, aber jeder noch so durchgeknallte Sondensucher hätte die schwer erkämpfte Beute doch wohl mitgenommen. War es jemand, der auf dem Gelände jenseits des Zauns unmotiviert herumstromerte, dabei zufällig über die Sonde stolperte, sie untersuchte und dann weggeworfen hat? Warum tut jemand das? Wahrscheinlicher hat er die RS41 vom Weg aus zufällig gesehen. Allerdings ist dieser Gegenstand aus 20m Distanz sicher kein auffälliges Objekt.  Kann eine RS41, die 20m entfernt unter einem Baum liegt, bei einen Nicht-Sondenjäger ein derart ausgeprägtes Neugierverhalten triggern? Da der Zaun nicht  zu überklettern ist, muss die Person dann den Überstieg genutzt haben. Das bedeutet: 160m zum Überstieg laufen, rüberklettern, 160m zurück zur Sonde. Dann muss die Person die hintere Klemme mit irgendeiner Form von Werkzeug sauber entfernt und die vordere kaputtgeprökelt haben. Am Ende hat die Person die Sonde 4-5m vom Zaun und 45m von der Landestelle abgelegt - in Gegenrichtung zum Überstieg.

Von Sondenabschneidern hat man ja schon gehört. Aber Batterieentferner sind mir neu! Die Batterien waren wahrscheinlich ziemlich leer und somit wenig nützlich. Immerhin hat mir diese Person das Leben heute leicht gemacht, dafür vielen Dank an den Unbekannten.

Mit zwei Sonden im Rucksack radel ich, in Gedanken ständig weitere Hypothesen verwerfend, nach Büchen, wo ich den Zug nach Hamburg bequem erreiche.

 

Übersicht über alle Sondenfunde hier
Karte aller Sondenfunde hier



 

 

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