Die Göhrde war früher ein Geheimtipp für Sondensucher. Die Landestellen liegen im Wald, es ist weit weg, und im Internet enden die Sonden bereits in luftigen Höhen. Um dort eine Sonde zu finden, benötigte man eine gewisse Erfahrung im Umgang mit Predictions, einen guten Blick für versteckte Objekte im Wald und ganz viel Glück.
In letzter Zeit ist es etwas anders. Der Mast in Zernien verschafft in dem Wald in aller Regel einen Empfang nach der Landung und somit exakte Koordinaten. Am 14.3. landet eine DFM17 aus Lüneburg unweit des Bahnhofs Göhrde im Wald bei Pommoissel. In unmittelbarer Gegend ist schon am 19.2. eine RS41 aus Norderney niedergegangen. Beide Sonden sendeten noch nach der Landung. Die Gegend ist mir gut bekannt. So plane ich am 16.3. eine Tour.
Die Anreise erfolgt über die Wendlandbahn. Diese eingleisige Strecke am Rande der Erdscheibe verkehrt - und das wird für das weitere Drama wichtig - nur alle drei Stunden. Am Bahnhof Göhrde, wo einst der Kaiser zur Jagd anreiste, verlasse ich den Zug. Das Faltrad bringt mich schnell in den besagten Wald. Es sind nur wenige Kilometer. Die rechnerische Höhe änderte sich ständig, was irgendwelche Fahrstuhlfahrten am Fallschirm nahelegt. Die Sonde selbst liegt in einem lockeren Kiefernwald. Das Signal nach der Landung war zwar decodierbar, aber nur schwach gewesen. Da die Landestelle auf einem hohen Hügel liegt, steigen die Chancen auf eine niedrige Bodenhöhe.
Sondentyp: DFM17
SN: 21(244)063608
Frequenz:403.85 MHz
Timerkill: keiner
Startstation: Lüneburg (WMOID:-)
Produktionsdatum: 2023-09-01
Flugdatum: 5.3.2025 14:30-15:44Z
Track wettersonde.net und Tower
Maximale Höhe: 14812m
Durchschnittliche Aufstiegsgeschwindigkeit: 5.32 m/s
Landegeschwindigkeit: 2.97 m/s
Landestelle: Pommoissel, LAT, LON: 53.16617,10.8915, Google Maps
Status: Geborgen am 16.3.2025, 9:00UT. Sonde bodennah Fallschirm 20m hoch
Methode: Empfang nach der Landung via Tower Zernien
Ich muss ca. 300m durch den Wald laufen und bin dann angenehm überrascht!
Leider hängt der Fallschirm unerreichbar hoch, und er lässt sich auch nicht per Schnurzug aus dem Baum befreien.

Zurück beim Fahrrad wird alles verstaut, und ab geht es zur zweiten Landestelle. Ich bin über die Infrastruktur im Dorf Pommoissel beeindruckt. Man hat dort sogar einen ZOB!
Dort fahren zwar nur Rufbusse, aber das ist ja inzwischen auch an den ZOBs von Städten wie Dömitz der neue Standard.
An der zweiten Landestelle ist Schluss mit der Easy-Peasy-Sondenjagd!
Sondentyp: RS41-SGP
SN: W1240564
Produktionsdatum:2024-03-21
Frequenz: 404.1 MHz
Timerkill: keiner
Startstation: Norderney (WMOID:10113)
Flugdatum: 19.2.2025 00:00
Track wettersonde/TOWER Zernien
Maximale Höhe: 32647m
Durchschnittliche Aufstiegsgeschwindigkeit: 5.31 m/s
Landegeschwindigkeit: 3.5m/s
Fundstelle: Pommoissel LAT, LON: 53.15287,10.87466 Google Maps
Status: Baumlander in 16m Höhe, Fallschirm > 20m hoch
Methode: Landekoordinaten via Tower Zernien
Der Schirm hängt noch höher als der der DFM. Die Sonde lässt sich gerade so mit einer 13m-Stange anstupsen, wenn man die gesamte Körperlänge einsetzt. Es gelingt mir im 12. Versuch sogar, die Sonde mit der verlängerten Stange kurz einzuhaken und ein wenig tiefer zu ziehen. Leider flutscht sie dann wieder höher und ist jetzt knapp außerhalb der Stangenreichweite, selbst wenn ich verschiedene Konstrukte aus leichten Ästen und GFK-Stäben per Tape an der Spitze befestige. Nach ca. 2 Stunden gehe ich auf. Hier geht nichts ohne 15m Stange oder Bigshot.
Weit ist es nicht zum Bahnhof Göhrde. Hier sind es noch mehr als 1.5 Stunden bis zur Abfahrt des nächsten Zuges. Hilft vielleicht noch eine Sondensuche gegen die Langeweile? Tatsächlich, unweit vom Bahnhof Leitstade ist eine ultrakalte Kaltsonde eingetragen. Im Mai 2022 - fast vor 3 Jahren, ist dort die Bergener Mittagssonde heruntergekommen, und sie ist laut Radiosondy nicht geborgen. Da rollt der Gegenzug ein. Wenn ich da jetzt einsteige, bin ich in 5 Minuten in Leitstade. Von dort aus kann ich kurz nach der Sonde schauen und trotzdem mit dem geplanten Zug nach Hause fahren. Die ganze Aktion müsste allerdings ab Leitstade in einer Stunde abgebacken sein. Für eine intensive Suche reicht die Zeit also nicht, aber zumindest einmal für ein schnelles Nachgucken. Das könnte sogar ausreichen, denn die Prediction macht für Göhrde-Verhältnisse einen sehr guten Eindruck, mit Unsicherheiten von ca. 50m. Gedacht, getan. Entweder liegt sie am Boden und wird eingesackt, oder man hat es zumindest probiert.
Leitstade ist ein Unikum. Der Bahnhof liegt inmitten eines riesigen Waldgebietes. Die Bewohner des kleinen Forsthauses stellen die gesamte Bevölk erung des Einzugsbereichs in 5km Umkreis. Der Weg in den Wald für mein Faltrad ziemlich ungeeignet, so dass ich mehr schieben muss als fahren zu können. Dennoch, die 1500m Wegstrecke sind schnell zurückgelegt.
Sondentyp: RS41-SGP
SN: T1320535
Produktionsdatum: 2021-03-30
Frequenz: 405.7 MHz
Timerkill: 5h:00m
Startstation: Bergen (WMOID:10238)
Flugdatum:19.5.2022 (12:00Z)
Track wettersonde.net
Maximale Höhe: 28131m
Durchschnittliche Aufstiegsgeschwindigkeit: 5.27m/s
Landegeschwindigkeit: 8.2m/s
Landestelle: Leitstade, LAT, LON: 53.16016,10.92181 Google Maps
Status: Geborgen am 16.03.2025 14:52UT
Methode: Extrapolation aus Wettersonde.net-Daten
Die Sonde soll nur 50m vom Weg entfernt gelandet sein. Nach 3 Jahren dürfte die Schnur längst vergangen sein. Am Boden liegt im Kernbereich der Prediction aber nichts - wahrscheinlich haben die Wildschweine wie üblich Kleinholz aus dem Ding gemacht, und die Trümmer sind unter einem Nadel-Sediment begraben. Ich will mich gerade resignierend zum Fahrrad zurück drehen - da sehe ich sie direkt vor mir am Baum an der Schnur HÄNGEN! Damit habe ich nicht gerechnet!
Schnell eile ich zurück zum Fahrrad, hole aus der Tasche meine Ausrüstung und vom Rad die Stange. Die Bergung ist reine Formsache - es ist so einfach.
Die Sonde hat etwas Patina angesetzt. Der Sensorarm wirkt intakt, ist nur ganz schwach korrodiert. Ich schalte sie mal aus Joke an. Und was soll ich sagen: Sie blinkt - und sie blinkt nicht einmal Error. Die Batterien sind doch etwas schwach, daher erlischt die Sonde nach wenigen Sekunden. Diese Sonde ist ansonsten nach fast 3 Jahren in freier Natur völlig intakt! Nach dem Fallschirm fahnde ich nur flüchtig; er dürfte mit den Jahren im Baum bis zur Unkenntlichkeit zerfetzt worden sein. Zeit für eine lange Suche habe ich auch nicht. Ich raffe mein Zeugs zusammen. Zurück nach Leitstade! Dort muss ich nicht lange warten, bis der Zug Richtung Lüneburg eintrudelt. Jetzt kann die Heimfahrt beginnen. Denke ich.

Sekunden vor dem Einsteigen fällt mir auf, dass der Rucksack so ungewohnt leicht ist. Ein Blick - offensichtlich fehlen in der Fronttasche das Fahrradschloss und das Absperrkabel, mit denen ich das Rad im Wald sichere. Was für ein Schreck! Wo habe ich das Zeug zuletzt benutzt? Bei der ersten Sonde hatte ich das Rad an einen Baum gekettet. Ich kann mir schwer vorstellen, die Sachen dort liegen gelassen zu haben - aber das scheint Fakt zu sein! Bei den beiden anderen Landeplätzen habe ich das Rad nicht abgeschlossen und die Schlösser gar nicht erst ausgepackt, weil ich mich ständig in unmittelbarer Sichtweite des Rades befand. Also verlasse ich nach 5 Minuten ungeplant den Wendland-Express und steige in Göhrde aus. Innerhalb von 3 Stunden muss ich die Sachen wiederfinden, denn der Zug um 19:30 ist der letzte für heute.
Die Strecke zur ersten Sonde ist genauso schnell zurückgelegt wie auf dem Hinweg - und zur Sonde wandern muss ich diesmal nicht. Mein Entsetzen ist groß, denn um den besagten Baum herum liegen die Sachen nicht!
Suche ich denn überhaupt am richtigen Baum? Mir fällt ein, dass ich das Fahrrad unmittelbar vor der Weiterfahrt an den Baum gelehnt fotografiert habe. Ich inspiziere das Foto auf dem Handy-Display. Kein Irrtum möglich, ich suche am richtigen Baum. Ich zoome in das Bild: Es wird klar erkennbar, dass Schloss und Kabel ordnungsgemäß in der Fronttasche verstaut sind. Also müssen mir die Sachen unbemerkt an einer der beiden anderen Landestellen aus der Tasche gefallen sein! Das erscheint mir auch wesentlich plausibler - denn nach dem Losschließen des Rades steckt man doch seine Schlösser fast automatisch ein. Ich habe auch diffus in Erinnerung, dass ich das Schloss beim Verlassen der 2. Landestelle noch bewusst wahrgenommen habe. Also ist die dritte Landestelle bei Leitstade - die mit der Uraltsonde - am wahrscheinlichsten. Also radle ich los.
Entfernungsmäßig ist es ein Katzensprung. Real aber nicht, denn die Waldwege sind mit 16"-Rädern leider kaum befahrbar. Wieder wird mehr geschoben als gefahren, aber der 3-Stunden-Takt der Wendlandbahn lässt hinreichend Zeit. Irgendwann erreiche ich die etwas bessere Forst-Fahrstraße, die der Bahn parallel folgt. Da ist auch schon wieder der Bahnhof Leitstade. Auf dem vorhin entdeckten besseren Zugangsweg bin ich schnell wieder an der Landestelle. Und - uff - da liegen die Sachen. Materialverlust ist somit erfolgreich vermieden, also kann beruhigt die Heimfahrt angetreten werden. Bis zur Abfahrt des nächsten Zuges sind es allerdings noch mehr als 2 Stunden, und bergab bräuchte ich über den guten Waldweg keine 10 Minuten bis zur Station.
Was mach ich jetzt? Mich in Leitstade 2 Stunden langweilen? Das muss nicht sein! Wie wäre es, noch einmal genauer nach dem Fallschirm zu suchen? Ich erkunde die Gegend um seine vermutliche Position, aber da ist nichts. Ich will mich gerade resigniert Richtung Fahrrad umdrehen, da sehe ich ein verdächtiges weißes Objekt an einem der Bäume im Wind flattern! Es ist der verblichene Fallschirm.
So hat die ungeplante Ehrenrunde doch noch ein Gutes.
In Leitstade muss ich mich doch noch eine Stunde langweilen, aber nicht zwei. Der Zug bringt mich nach Lüneburg, und mit dem Metronom erreiche ich kurz nach 21:00 Hamburg.
Übersicht über alle Sondenfunde hier
Karte aller Sondenfunde hier