Samstag, 6. Juli 2019

Abgerissene Sonden - das Werk von RUSH?



In Hamburgs Südosten gibt es einen anonymen Sondenjäger, den wir intern "RUSH" nennen, für "Rapid Unidentified Sonde Hunter". Typische Anzeichen: Sonde weg, obwohl man schnell vor Ort ist und die Lage übersichtlich ist. Einmal erzählten mir Anwohner, dass "ein Kollege von Ihnen" die Sonde bereits "abgeholt" habe. Von den üblichen Verdächtigen war das keiner. 

Aktiv ist RUSH im Gebiet zwischen Hamburg-Harburg, Lüneburg und Geesthacht, generell eher südlich der Elbe. In diesem Gebiet ist meine Erfolgsquote unnatürlich gering. In Foren oder in Radiosondy trägt er keine Fundmeldungen ein. Dabei würden wir uns gerne über seine Erfolge mitfreuen. Den Misserfolg meiner letzten Sondenjagd in einem Wald bei Adendorf führe ich auf ihn zurück. Und ein paar Tage vorher hatte ich ein Gespräch mit einer Person, die möglicherweise in Wahrheit ein anonymer Sondenjäger war, der aber in diesem Fall, genau wie ich, wohl auch zu spät kam). Wenn mein Verdacht zutrifft, gab er trotzdem seine Anonymität nicht auf. 

Sondentyp: RS41-SGP
SN: R2410248
Frequenz: 402.5 MHz
Timerkill: keiner
Startstation: Schleswig (WMOID:10035) 
Flugdatum: 28.06.2019 06:00Z
Track Wetterson.de 
Landestelle Drochtersen LAT LON:53.4318, 10.277874 (Fallschirm) Google Maps
Status: Sonde verloren, Landestelle lokalisiert Tawhiri-Prediction nach wetterson.de Daten

Die Schleswiger Morgensonde vom 28.6.2019 landete bei Altengamme. Ich konnte arbeitsbedingt erst am Abend hinfahren. Eine Bushaltestelle war nicht weit entfernt. Die Vorhersage lag in einem Gerstenfeld. Auf dem Feld war nichts zu sehen. Um mir einen Überblick zu verschaffen, nahm ich meine 10m-Stange, hängte eine Actioncam dran und konnte dadurch die Gegend von oben inspizieren. Außer deutlichen Sturmschäden war nichts zu bemerken. Ich ging den Altengammer Bahndamm (heute  ein asphaltierter Fahr- und Wanderweg)  entlang, um die weiter in Flugrichtung liegenden Felder zu inspizieren. Ich fand nichts. Als ich zurückwanderte, stand direkt an der Prediction ein älterer Herr, der eindeutig und hartnäckig vom Weg aus das Gerstenfeld nach etwas absuchte. Ich fragte ihn direkt, ob er auch die Radiosonde suchte. Antwort zu meinem Erstaunen: "Nein, die such ich nicht". Er fragte aber von sich aus nicht nach.  Er erzählte von dem sehr lokalen Unwetter letzten Donnerstag, das ich auch erlebt hatte (als ich die Sonde im nicht weit entfernten Curslack geborgen habe). Er wolle jetzt die Schäden im Gerstenfeld fotografieren, einfach nur so. Der Besitzer des Feldes war er aber auch nicht. Er kam auch von weiter weg, da er ein Fahrrad dabei hatte. Komische Geschichte, mir schien irgendwie, dass ihn die Sache mit de Sonde gar nicht weiter erstaunte.

Es kam noch besser: Während ich mit ihm redete, sah ich plötzlich in einem nahen Baum den Fallschirm hängen, ca. 100m weiter westlich! Die Sonde war weit kürzer geflogen als prognostiziert. Ich machte ihn auf den Fund aufmerksam, er griff cool, aber scheinbar gelangweilt,  zu seiner kompakten Digicam, fotografierte das Ding umgehend und zeigte mir das Foto auf dem Display. Trotz der geringen Größe fuhr die Kamera eine erstaunliche Telebrennweite aus. Das ganze lief ruhig und routiniert ab, und das Foto zeigte alle wesentlichen Teile des Gespanns in bester Schärfe - nicht mehr und nicht weniger. Meinen Erklärungen folgte er relativ passiv. Auf meinen Vorschlag, wir könnten ja jetzt die Sonde einsammeln gehen, zuckte er die Schultern und machte sich des Weges. Norddeutsch dröge, irgendwie. 

Ich ging also allein Richtung Fallschirm. Leider war die Schnur durchtrennt und die Sonde abgerissen. Angesichts der bekannten Flugrichtung und der Länge einer Sondenschnur ließ sich die ungefähre Landestelle gut abschätzen. Sie lag allerdings auch mitten auf dem Weg oder sogar auf einer Grundstückseinfahrt. Da wird sie jemand, wahrscheinlich schon vor Stunden, gefunden und abgerissen haben, nicht notwendigerweise mein Gesprächspartner von eben. Bei dem fraglichen Grundstück war niemand zuhause. Mit der 10m-Stange kam ich knapp nicht an den Schirm. Die Schnur hing aber bis zum Boden, und ich konnte sie größtenteils bergen.

Auf dem Rückweg dachte ich ein wenig über meinen Gesprächspartner nach. War der wirklich so zufällig vor Ort? Ich bin nicht 100% sicher, aber es würde mich nicht wundern, ihn unter einer der nächsten Sonden wieder anzutreffen...


Sondentyp: RS41-SGP
SN: P2120799
Frequenz: 405.7 MHz
Startstation: Bergen (WMOID:10238) 
Flugdatum: 21.06.2019 12Z
Timerkill: 5:00h
Track Bremen
Fundstelle  LAT LON: 53.2991710.42606 Google Maps
Status: Verloren, Landestelle lokalisiert am 28.06.2019, 10:35Z
Methode:  Tawhiri-Prediction auf Basis der Daten von wetterson.de


Am Sonntag war es extrem warm. Meine Idee war, noch vor der größten Hitze eine Bergener Mittagssonde vom 21.6. im Wald bei Adendorf einzusammeln. Ich fuhr also mit dem Zug nach Bardowick und radelte zur Landestelle.  Die lag laut Karte unweit der Straße im Wald., mitten in RUSHs Revier. Vor Ort erwies sich der Zugang allerdings als kompliziert. Der Wald war weglos, der moorige Grund ausgetrocknet. Viel Gestrüpp, unwegsames Gelände. Die eigentliche Landestelle befand sich in einem etwas besser begehbaren Kiefernwaldstück. Mein Optimismus stieg, denn  obwohl der Sondenflug schon eine Woche her war, würden sich zufällige Spaziergänger hierher nicht verirren. 

An der vorhergesagten Landestelle - ich rechnete wegen der geringen Endhöhe und der sehr schnellen Abstiegsgeschwindigkeit mit einer sehr genauen Prediction - war auf den ersten Blick nichts zu sehen. Ich bin dann ein 100 Richtung letzter Position gelaufen:  Nichts. Wieder zurück: Nichts. In Gegenrichtung: Nichts. Weiter flugbahnabwärts lag ein dichtes unübersichtliches Gestrüpp, in dem ebenfalls auf den ersten Blick kein roter Fallschirm hing. Ich stand dann wieder an der Straße bei meinem Rad.

Beim Versuch, vielleicht von der Straße aus etwas zu erkennen fiel auf, dass man wahrscheinlich etwas nördlich leichter zur Landestelle gelangt. Die Hoffnung, dass man von dort von etwas erhöhter Position das Gestrüpp mit dem Fernglas absuchen konnte, erfüllte sich nicht. Der Zugang zur eigentlichen Landeregion führte allerdings auch hier über unwegsames Gelände. Diesmal kam ich aus einer etwas anderen Richtung und sah plötzlich zwischen den Bäumen hoch oben eine Schnur, in der sich jede Menge Ballonrest verfangen hatte. Erstaunlich, dass ich das eben übersehen hatte: Die tatsächliche Landestelle befand sich nur 35 Meter von der Prediction entfernt. 




Die Inspektion des Fundes war dann aber ernüchternd. Ich konnte die Schnur sowohl sondenseitig als auch ballonseitig verfolgen.An beiden Enden hing... NICHTS. Jemand hatte sowohl Sonde als auch Fallschirm abgerissen und sich um den Rest nicht gekümmert. Ich halte es für komplett unwahrscheinlich, dass dieser Jemand hier zufällig vorbeigekommen ist. 

Da die Suchaktion unerwartet lange gedauert hatte, musste ich jetzt die 5 Kilometer doch in der Mittagshitze in der brennenden Sonne zurücklegen und mich dabei noch beeilen, um in Bardowick nicht eine Stunde warten zu müssen. Im gut klimatisierten Metronom-Zug wurde die Wasserflasche endgültig geleert, und trotz der vergeblichen Aktion sah danach das Leben schon wieder anders aus. 

Übersicht über alle Sondenfunde hier
Karte aller Sondenfunde hier