Montag, 18. Dezember 2023

Unerwartete Kaltsonde in Uelzen

Im Dezember kann und sollte man sich den Sonden widmen, die man im Sommer im dichten Laubdach vergeblich gesucht hat. Die Bergener Mittagssonde vom 23.6.2023 ist so ein Kandidat:  Am 22.7. schrieb ich in diesem Blog: "Ich fahre noch zur Landestelle von T3020146. Ein Urwald, und leider nichts in der Nähe der Extrapolationslösung  zu entdecken. Vielleicht geht da was nach dem Laubfall."

Urwald klingt noch zu niedlich. Ich hatte mein Faltrad am Eingang des Waldes an eine Birke gekettet und versuchte, Richtung Landestelle vorzustoßen. Ich scheiterte nach wenigen Metern. Gestrüpp und umgekippte Bäume verhinderten jeden Zugang. Ich bin dann um den Wald herumgelaufen und fand dort einen etwas direkteren und kürzeren Zugang. Allerdings war das Gelände hier ähnlich abweisend. Man musste höllisch aufpassen, wollte man mit intakten Extremitäten  das Mikadospiel der umgestürzten Baumleichen durchstreifen. Die Suche war anstrengend, aber erfolglos.

Am 3. Advent 2023 ist eine Nachsuche denkbar und möglich. Schnee und Glätte sind verschwunden, es ist schönes warmes, wenn auch windiges Wetter. Ich bin etwas spät dran, so dass ich über eine kurze Tour nachdenke. Vom Hundertwasserbahnhof Uelzen sind es nur 6km. Gibt es in der Gegend noch andere relevante Ziele? Ich checke auf der  Infoseite von Wettersonde.net die Rubrik "Landepunkte 2023". Dort fällt sofort eine Bergener Sonde T3020127 vom 4.7.2023 auf, deren letzte Position in einem Wald im Norden von Uelzen lag, nur wenige Meter von der angdachten Radroute. Im Juli bin ich da direkt vorbeigeradelt. Wie kann es sein, dass ich das damals ignoriert habe? Ich gucke mir die Sache in wettersonde.net, sondehub und radiosondy an. Wettersonde.net hatte an dem Tag keine Tawhiriprediction hinbekommen. Sondehub hatte eine, aber aus 960m Höhe. Diese Landestelle liegt auf den Gleisen hinter dem Wald. Ich erinnere mich, das damals gesehen zu haben und die Sonde in die Rubrik "forgetaboutit" abgelegt zu haben, also habe ich es nicht einmal auf dem Handy abgespeichert.  Aber ist die Sondehub-Prediction überhaupt realistisch? Der Fallschirm hatte weitgehend versagt, kann das Ding wirklich so weit geflogen sein?

Radiosondy hat ja auch eine Tawhiri-Prediction, aber Daten bis in 426m Höhe.  Der Haken dabei: Die Radiosondy-Prediction ist bekanntlich fehlerhaft. Zwar stimmt die grobe Richtung, aber sie zielt wegen eines Fehlers in der Höhenberechnung immer viel zu weit. Die Radiosondy-Position liegt nicht bei den Gleisen, sondern mitten im Wald, auf der anderen Seite des Baches, der den Wald durchfließt. Im richtigen Leben dürfte die Sonde auf der leichter erreichbaren Seite des Nils liegen. Ich rechne rasch eine Extrapolation, die das bestätigt. Da meistens eine stumpfe Extrapolation aus großer Höhe immer noch zu weit zielt, mache ich noch eine, die nur 75% der errechneten Strecke annimmt. Das ist ein Erfahrungswert, denn der Wind weht in geringer Höhe meist schwächer als weiter oben. Danach befindet sich die Sonde etwas nordöstlich des den Stadtwald durchziehenden Wanderwegs und ist somit ein unerwartet aussichtsreiches Ziel. Mich wundert vor allem das Fehlen einer Bergungsmeldung. 

Schnell noch 7 bar in die Reifen des Faltrads gepumpt, und ab geht es zum Hauptbahnhof. Von dort bringt mich der Metronom nach Uelzen zum Hundertwasser-Bahnhof. Zur Sonde im Stadtwald ist es nicht weit. 

Sondentyp: RS41-SGP
SN:
 
T3020127
Produktionsdatum: 2021-07-27
Frequenz: 405.7 MHz
Timerkill: 5 Stunden
Startstation:
Bergen (WMOID:10238)
Flugdatum: 1.7.2023 12:00Z
Track wettersonde
Maximale Höhe: 35415m
Durchschnittliche Aufstiegsgeschwindigkeit: 5.1 m/s 
Landegeschwindigkeit: 11.2 m/s
Landestelle:Uelzen,
LAT, LON:
52.97860,10.54793 Google Maps
Status:
Geborgen am 17.12.2023 12:36UT
Methode: Extrapolation nach wettersonde.net-Daten.Stangenbergung von Sonde (3m hoch) und Fallschirm (12m hoch)

Vorbei an einem Kriegerdenkmal geht es in den Wald. Die letzten Meter schiebe ich das Rad, denn man sollte bei 16" Rädern immer schön nach vorne gucken und nicht in die Umgebung. OMG! Es ist unfassbar: Da vorne, nur  25m vom Weg, hängt komplett unübersehbar eine RS41 am Baum, keine 3m über dem Boden!

Ich vergesse leider, das Setting zu fotografieren. Es ist fast lächerlich, für diese Bergung die 14m-Stange zu benutzen, ein beherzter Sprung könnte es auch richten. Der Fallschirm hängt in 11m Höhe an einem Nachbarbaum. Dies ist etwas anspruchsvoller, aber auch problemlos lösbar. 


 

Also Sachen einpacken, 5km radeln und dann ab in den Urwald. Da die Vegetation weitgehend abgestorben ist und ich den Weg ja bereits kenne, ist der Zugang viel einfacher. 

Sondentyp: RS41-SGP
SN:
 
T3020146
Produktionsdatum: 2021-07-27
Frequenz: 405.7 MHz
Timerkill: 5 Stunden
Startstation:
Bergen (WMOID:10238)
Flugdatum: 23.6.2023 15:20Z
Track wettersonde
Maximale Höhe: 34712m
Durchschnittliche Aufstiegsgeschwindigkeit: 5.33 m/s 
Landegeschwindigkeit: 10.7 m/s
Landestelle:Emmendorf bei Uelzen,
LAT, LON:
53.01604,10.54642 Google Maps
Status:
Geborgen am 17.12.2023 12:36UT
Methode: Extrapolation nach wettersonde.net-Daten.Stangenbergung von Sonde (9m hoch). Fallschirm (14m hoch) konnte wegen einbrechender Dunkelheit nicht geborgen werden

Die umgestürzten Bäume sind wegen der reduzierten Vegetation erheblich besser sichtbar. Wieder stehe ich bei meiner 75%-Prediction. Da ist nichts. Ich laufe mehrfach zwischen der Prediction und dem Waldrand die ganze putative Flugroute ab. Meter für Meter - ohne jeden Erfolg. Ich inspiziere die Wipfel der Bäume mit dem Fernglas - nichts. Liegen Trümmer auf dem Boden? Wildschweine gibt es hier eindeutig. Um die Landestelle von eben lagen Latexstreifen herum - hier aber nicht. Völlig übersichtlich ist der laubfreie Urwald nicht, aber kein Vergleich mit den Zuständen im Juli. Aber wo ist die Sonde? Die Sonne geht unter. Man sieht kaum noch etwas. Nach mehr als einer Stunde Suche ist es an der Zeit aufzugeben. 

Ich verlasse den Wald, gehe ein paar Meter Richtung Weg. Ich blicke aus einem Impuls noch einmal in die fragliche Richtung. Da blinkt ein weißes Licht in einem der Bäume da hinten. Das Fernglas bestätigt den Verdacht: Das ist eine wild im Wind rotierende RS41. Uff!

Ich gehe in die fragliche Richtung - und verliere sofort Sichtkontakt zur Sonde! Noch mal zurück und die Stelle anhand der Ausrichtung einer der Baumleichen gemerkt. Wieder ist aus der Nähe nichts zu sehen. Ich greife zum Fernglas. Damit finde ich sofort zwar nicht die Sonde, aber Fallschirm und Ballonrest. Da vorne baumelt auch die Sonde, in bequemer Stangenberungshöhe. Gegen den dunkelgrauen Himmel hebt sie sich kaum ab. Tatsächlich zeigt mein GPS-Track, dass ich vorhin nur 8 Meter an der Position vorbeigelaufen bin und nichts bemerkt habe!



Es ist eben schon recht düster. Immerhin ist kein Astmikado nötig, denn zwischen mir und der Sonde ist nur Luft. Die Stange biegt sich erratisch in der steifen Brise. Ich kann die Sonde im dritten Versuch einhaken und zu Boden befördern. 


 

Ich nehme Maß, ob die Stange für eine Fallschirmbergung reicht. Der Schirm klebt in geschätzten 13-14m Höhe am Stamm des Nachbarbaums. Tatsächlich kann ich mit dem Haken Latexfetzen des Ballonrests abreißen. Es wird aber immer dunkler. Die Schnüre des Fallschirms sind nicht mehr erkennbar, blindes Stochern bringt nichts. Das Manövrieren der Stange wird immer schwieriger, denn sie biegt sich gewaltig im Wind. Ich gebe es auf und verlasse den Wald. Am Rad angekommen ist es Nacht.

Zurück schiebt mich ein starker Wind nach Uelzen. Jupiter und ein zunehmender Mond schmücken einen leicht diesigen Himmel. 

Übersicht über alle Sondenfunde hier
Karte aller Sondenfunde hier

 

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