SN: P0630370
Frequenz: 405.7 MHz
Startstation: Bergen (WMOID:10238)
Flugdatum: 15.06.2019 6Z
Timerkill: 5:00h
Track Bremen
Vermutliche Landestelle LAT LON: 53.54683,9.687734 Google Maps
Fundstelle LAT LON: 53.5463,9.68796 Google Maps
Status: GEFUNDEN am 15.06.2019, 9:55 Z
Methode:Decodierung des Sonden-GPS
Derzeit haben wir eine konstante Südwindlage, die Bergener
Sonden in das weitere Umfeld Hamburgs befördert. Normalerweise dauert so etwas
ein paar Tage, was ganz schönen Stress für Hamburger Radiosondenjäger bedeutet.
Inzwischen hält die Wetterlage seit fast 3 Wochen an. Ich habe in dieser Zeit
10 Radiosonden geborgen und ein paar nicht gefunden. Einige fielen in die Elbe
oder in unzugängliche Gebiete, diverse wurden von Sondenjägerkollegen erbeutet.
Wir kommunizieren hier eifrig mit Whatsapp, und so habe ich einen guten
Überblick.
Die Flug der Morgensonde vom 15.6. war von Start bis Bergung
sehr ungewöhnlich. Sie befand sich bereits im Abstieg, während eine
Gewitterfront durchzog. Man kann auf dem Höhenprofil (nach Daten der Bremer
Seite) sehr gut sehen, dass die Sonde im Landeanflug – der Ballon war längst
geplatzt – von 6816m auf 9814m AUFSTIEG, zum Teil mit Geschwindigkeiten von
11m/s. Das sind 3000 Höhenmeter! Da sieht man mal, was über so einem Donnerkopf
für Aufwärtsströmungen vorkommen.
Im Landeanflug pflege ich gelegentlich ein paar Predictions
zu machen – mit der Tawhiri-Funktion von wetterson.de. Die Achterbahnfahrt der
Sonde machte eine gute Vorhersage des Landepunktes sehr schwer. Normalerweise
hätte die Landung im Raum Bremervörde stattfinden müssen, wo Sondenjäger Rainer
schon ungeduldig auf sie wartete. Dann platzte der Ballon unerwartet bereits in
25000m Höhe. Das verschob den Landepunkt nach Osten in die Region Buxtehude.
Das ist Rainer typischerweise zu weit, aber für mich womöglich mit S-Bahn und
Fahrrad schnell zu erreichen. Nach dem raketenartigen Aufstieg setzte ein wieder
ein normaler Abstieg ein. Schon sprang die vorhergesagte Landestelle deutlich über
die Elbe in den Bereich Wedel/Uetersen. Jetzt freuten sich Daniel und Matze,
und ich freute mich für sie mit. Danach fiel die Sonde raketenartig vom Himmel.
Eine Zeitlang sah es so aus, als wollte das Gespann in die Elbe fallen oder auf
die unzugängliche Elbinsel Nesssand. . Eine mögliche Landestelle war auch vor
dem Elbstrand der Strafanstalt Hahnöfersand. Eine stumpf gerechnete
Tawhiri-Prediction aus der letzten Position sah die Landestelle wieder im
Elbstrom, wenngleich nicht weit vom Strand entfernt.
Ich pflege mir bei so etwas aber den Bahnverlauf auf der
Karte genau anzugucken. Hier sah es mir schwer danach aus, dass es die Sonde
permanent im Endanflug mehr nach Süden zog. Das ließ darauf schließen, dass die
Genauigkeit der Windrichtung im GFS Modell zu wünschen übrig ließ – bei der turbulenten
Wetterlage kein Wunder. Ich markierte mir also auf der Karte eine mit „best
guess“ gekennzeichnete Position. Und die lag eindeutig auf dem Deich. Ich war
sehr sicher, dass die Sonde auf dem Land und nicht im Wasser niedergegangen
war.
Wie kommt man da hin? Schnell aufbrechen und dann los! Bis
ich alles zusammengepackt hatte, war die passende S-Bahn nach Neugraben weg.
Die HVV-App gab mir als nächste Verbindung einen Bus, der von Altona aus durch
den Elbtunnel nach Finkenwerder auf der anderen Elbseite fuhr. Dort konnte man einen Anschlussbus nehmen, der unter anderem auf dem Marktplatz von Jork
hält. Jork ist ein Dorf im „Alten Land“, dem nördlichsten geschlossenen
Obstanbaugebiet der Erde (zumindest sagte das meine Geographielehrerin in der
5. Klasse). Von da waren es nur 2,5 Fahrradkilometer bis zur Landestelle. Das
kam zeitlich aus.
Zum Busbahnhof nach Altona fuhr ich mit dem Rad. Die „Altonale“
erzwang für den Bus eine Umleitung, durch Ottensen, wo wir ein wenig warten
mussten. In Ottensen sind die Straßen chronisch eng. Jemand hatte sich für
einen Umzug frisch einen ziemlich großen Transporter geliehen und nun musste er
rückwärts einparken. Großes Abenteuer. Dennoch konnte der Fahrer die
Verspätungen einholen, denn die Kachelzähler im Elbtunnel waren noch nicht
unterwegs.
In Finkenwerder wartete ich auf den Anschlussbus. Dessen
Liniennummer war an der Haltestelle nicht ausgeschildert. Der Bus kam aber pünktlich
und zog einen komischen Anhänger hinter sich her. Überraschung: Die Fahrt
kostete 5 Euro. Denn dies war kein normaler Linienbus. Sondern ein „Fahrradbus“,
der am Wochenende vom Touristenverband der Gemeinden im Alten Land betrieben
wurde. Die Fahrräder würden dann auf Gestellen auf dem Anhänger montiert. Nach
den ganzen Unwettern wollte natürlich keiner eine Radtour machen. Also war ich
der einzige Fahrgast. Die Alternative wäre gewesen, die Strecke mit dem Rad
zurückzulegen. Dann aber hätte ich aufgrund des Bergener Killtimers die Sonde
nicht mehr sendend angetroffen. Also begann eine Privatbusfahrt mit Chauffeur
durchs Alte Land. Die Gestelle auf dem Anhänger brauchte ich für mein Faltrad
nicht testen.
Von Jork ging es per Rad auf engen Straßen nach Borstel und von dort
aus auf den Elbdeich. Oben stand eine Bank. Rad raufschieben, runtergucken. Malerischer
Blick auf die Elbe. Kein roter Fallschirm. Auf dem Deich war ein kleines Areal
abgezäunt, dort grasten Schafe mit Lämmern. Rechts ein Bauernhof. Gleich
dahinter sperrte ein wenig malerischer massiver Zaun den Deich und die vor- und hinter dem
Deich liegenden Fahrwege ab. Dort ging es offenbar auf die Halbinsel Hahnöfersand
mit ihrem bekannten Knast. Ich konnte nur hoffen, dass meine Prediction soweit
stimmte, dass sich das Ziel nicht hinter dem Zaun und auch nicht jenseits des
Strandes befand. Das Deichvorland war ziemlich mit Weiden bewachsen und damit erstaunlich
unübersichtlich.
Erst einmal eine Antenne in die Luft halten. Jawohl, sie
sendete noch. Der Sondefinder-Raspby funktionierte sehr gut und warf gleich
gute Positionen aus.
Und die befanden sich AUF dem Gelände des Hofes zwischen
den Gebäuden. Also hin!
Erst einmal wurde ich aufgehalten. Ein Radfahrer war
verwirrt und hielt mich wohl für ortskundig. Er fragte, ob man hier in Richtung Hamburg
fahren könne, und was der Zaun da soll. Danach kurz in die Pedale getreten.
Auf dem Hof konnte ich keine Radiosonde entdecken. Ich rechnete mit einem über
das Gelände ausgebreiteten Gespann. So etwas lag hier nicht herum. Also musste
man wohl für weitere Nachforschungen mal klingeln.
Der Besitzer kam heraus. „Ja, ich helfe ihnen, gehen Sie
einfach mal auf den Hof zwischen den Häusern, ich komme dazu“. Er erschien in
Begleitung seines Vaters, der kein Wort sagte, weil er nicht aus Deutschland
stammte. „Das Ding liegt auf unserem Kunststoff-Müllhaufen: Mein Vater hat es
auf dem Deich, bei den Schafen gefunden und besser eingesackt“. Das macht
unbedingten Sinn, denn die Schafe können sich natürlich in der Schnur verfangen
und übel verletzen. Ich erklärte ihnen ihren Fund und durfte ihn behalten.
Der Ballonrest war riesig, der Fallschirm hatte nur allenfalls
partiell funktioniert.
Die Schnur war nur partiell abgewickelt, und die Uhrzeit
auf dem Begleitzettel stimmte nicht. Es ist doch sehr erstaunlich, dass dieses Konstrukt
mit den aerodynamischen Eigenschaften eines nassen Lappens 3000 Höhenmeter aufsteigen
konnte.
Ich bedankte mich bei den netten Besitzern dieses letzten
Bauernhofs vor dem Gefängnis. Ein Radfahrer stand verwirrt herum und musste
schnell über den Grund der Sperrung aufgeklärt werden. Erinnerte mich alles so
ein wenig an die DDR-Grenze. Ich zeigte ihm auf Locus einen möglichen
Alternativweg und erklärte ihm kurz den Grund meiner Radtour.
Ich wollte schnell zurück nach Hamburg. Ideal wäre die
S-Bahn-Station Neukloster in 8 Kilometern Distanz gewesen. Auf dem Weg zweigte
eine Straße nach Buxtehude ab. Und da die S-Bahn in Neukloster nur alle Stunde hält
und ich sie nicht mehr erwischen würde, bin ich dann nach Buxtehude gefahren und
konnte dadurch 30 Minuten sparen.
Als ich wieder zuhause war, flog bereits die Mittagssonde aus
Bergen. Wieder freuten sich Matze und Daniel über eine vorhergesagte Landung
auf ihrer Elbseite, aber wieder fiel die Sonde wie ein Stein vom Himmel und
schaffte es nicht über die Elbe. Sie landete in einer Apfelplantage bei Ladekop,
einem Straßendorf im Alten Land, das ich gerade auf meiner Rückfahrt passiert
hatte. Noch einmal die gleiche Tour wollte ich dann aber doch nicht antreten.
Obwohl mich doch der Busfahrer ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht hat, dass
das Ticket für den Fahrradbus eine Tageskarte sei….