Mittwoch, 21. August 2024

"Drive-In" trotz disfunktionalem ÖPNV

Am 16.8.2025 sperrte die Bahn die Strecke Hamburg-Berlin bis zum Dezember. Keine Angst, dies sind nur Vorarbeiten. Die eigentliche Generalsanierung startet erst in einem Jahr und wird 9 Monate dauern. In den Medien steht der Fernverkehr im Mittelpunkt, aber für den Öffi-User ist das etwa so wie für den Autofahrer eine monatelange Vollsperrung der A24. Und wenn man genau hinguckt, ist es heftiger als in den kurzen Kundeninformationen dargestellt.

Quelle: hamburg-berlin.deutschebahn.com/

 

Immerhin wird ab September der Abschnitt bis Büchen teilweise wieder eröffnet, aber derzeit fährt vom Hauptbahnhof nichts Richtung Osten. Natürlich ist die Strecke Büchen-Mölln gleichzeitig ebenfalls gesperrt. Eine Anreise zur Radiosondenjagd kann jetzt über den Busersatzverkehr erfolgen oder über die Strecke Lüneburg-Büchen. Selbst wenn alles rund läuft, dauert das.  Dass beim Metronom Lüneburg-Hamburg nichts rund läuft, ist bekannt. 

Wie um mich zu ärgern, landet am Sonntag eine Bergener Radiosonde im Raum Büchen. Ich bin gerade in Bienenbüttel unterwegs und könnte sofort hinfahren. Aber die Rückreise würde zu viel Zeit verschlingen. Also lasse ich es bleiben. 

Am Dienstagnachmittag habe ich etwas Zeit, und ich denke mir, dass man es einfach mal wagen sollte. Die Prediction ist gut. Als ich via Lüneburg nach Büchen fahre, ist die aktuelle Bergener Sonde in der Luft, Zielgebiet Büchen. Vielleicht kann man ja die beiden Sachen verbinden. Ich behalte die Entwicklung im Auge. 

Die Sonde landet bei Juliusburg. Axel auf der Whatsappgruppe hat sogar noch Empfang bis kurz vor dem Einschlag und schickt seine letzten Koordinaten herum. Aufgrund seiner Extrapolation verspricht er ein "Drive In", weil die Sonde vermutlich sehr nahe an einem Wirtschaftsweg gelandet sein soll. Mein Zug rattert gerade auf Lauenburg zu. Wenn ich da jetzt aussteige und in die Pedalen meines Rades trete, könnte ich die Sonde noch sendend erreichen. Aber dies  wäre für die anschließende Tour nach Büchen ein arger Umweg, und es würde bedeuten, dass ich aufgrund der schlechten ÖPNV-Verbindungen erst spät in der Nacht wieder in Hamburg wäre. Nach einigen Zaudern verlasse ich in Lauenburg den Zug.

Wenn es einen Preis für die schlimmste Fahrradstadt im Norden gäbe, würde Lauenburg gewinnen. Für den steilen Elbhang und die schlimmen Kopfsteinpflasterwege kann die Stadt nichts, aber auch jenseits der topographischen Hindernisse, in der Oberstadt, ist das Wort "Radweg" ein Begriff aus dem Bereich Science Fiction. Dafür hat man gute Chancen, beim Befahren auf der B5 plattgewalzt zu werden. Auf der Straße nach Juliusruh gibt es zwar auch keinen Radweg, aber immerhin ist der Verkehr nicht so stark. Irgendwann biege ich links auf einen Feldweg ab, der direkt ins Landegebiet führt. 

Sondentyp: RS41-SGP
SN:
U3250036
Produktionsdatum: 2022-08-12
Frequenz: 405.7 MHz
Timerkill:
5h:00m

Startstation:
Bergen
(WMOID:
10238)
Flugdatum: 20.08.2024 (12:00Z)
Track
Radiosondy.info und
DB7XO
Maximale Höhe:
33837m
Durchschnittliche Aufstiegsgeschwindigkeit
: 4.9m/s

Landegeschwindigkeit:
13.4m/s

Landestelle: Juliusburg,
LAT, LON:
53.41039,10.49087 Google Maps
Status:
Geborgen am 18.8.2024 14:55UT
Methode: GPS-Decodierung des Sondensignals mit TTGO, RDTsonde

Die Sonde sendet noch, und ich kann ihr Signal per TTGO empfangen. Die Position liegt direkt am Weg. Schon denke ich, dass ein Sondenjägerkollege sie bereits im Auto hat. Als ich um die Ecke biege, ist aber auf dem Weg kein Fahrzeug und keine Person zu entdecken. Dafür liegt die Sonde auf dem Asphalt. Axel hat mit seiner "Drive-In"-Vermutung nicht zu viel versprochen. 



Den Fallschirm habe ich vom Fahrrad aus beim Vorbeifahren schon am Straßenrand liegen sehen.





Nach der einfachen Bergung stellt sich die Frage, was man mit dem angebrochenen Tag weiter anfangen kann. Ich beschließe eine Fahrt nach Büchen, und dann kann man ja mal weiter sehen.  Auf dem Weg könnte man den Baumlander U2420246 im Wald Bornholz bei Wangelau kontrollieren. Allerdings ist der Weg, der dorthin abzweigt, zwar auf OSM verzeichnet, aber im richtigen Leben nicht existent. Auch bin ich vor einer nicht allzu langer Zeit dort gewesen, und die Chancen, dass er heute am Boden aufgesammelt werden kann, sind eher gering und rechtfertigen keinen großen Umweg. 

Ein Imker hat eine Verkaufsklappe direkt am Weg aufgebaut, ich erstehe ein schönes Glas Sommertracht. Weiter geht es Richtung Büchen. Wenn man sich schon da ist, kann man auch gleich bis zur Landestelle der anderen Bergener Sonde, meinem ursprünglichen Ziel, weiterfahren. 

Sondentyp: RS41-SGP
SN:
U3231079
Produktionsdatum: 2022-08-10
Frequenz: 405.7 MHz
Timerkill:
5h:00m

Startstation:
Bergen
(WMOID:
10238)
Flugdatum: 18.08.2024 (12:00Z)
Track
wettersonde.net

Maximale Höhe:
37394m
Durchschnittliche Aufstiegsgeschwindigkeit
: 4.7m/s

Landegeschwindigkeit:
11.7m/s

Landestelle: Fitzen,
LAT, LON:
53.5091,10.64253 (Fallschirm) Google Maps
Status:
Fallschirm g
eborgen am 20.8.2024 17:30UT, Sonde fehlt
Methode: Extrapolation nach wettersonde.net-Daten

Die Gegend um Fitzen kenne ich kaum, sie ist aufgrund ihrer durch Ex-DDR-Grenze und Kanal abgeschnittenen Randlage urtümlich naturbelassen. Die Landestelle liegt gleich südlich einer Ferienhaus-Siedlung nahe einer Weggabelung. Der Acker, auf den die Sonde wenige Meter hinauf geflogen sein sollte, ist wie schon auf Satellitenbildern vermutet, ein Dauer-Maisfeld. Ich finde ziemlich schnell den Ballonrest und den disfunktionalen Fallschirm. 





     

Die Schnur ist nicht vollständig abgerollt. Sie verläuft über das Maisfeld und endet...blind. Keine Sonde. Ich suche vergeblich, sie ist weg. 

Was ist hier passiert? Ich bin nicht sicher. 



Die Sonde sollte, wenn man den letzten GPS-Koordinaten traut, die Eiche rechts im Bild überflogen haben. Allerdings liegen die Reste nicht weit auf dem Maisfeld; viel Platz bleibt da für die Landestelle der Sonde nicht. 


3 Möglichkeiten fallen auf: 

  • Die Sonde ist von einem Sondenabschneider 🙈 geborgen worden. Immerhin hatten wir einen solchen Fall in der Gegend schon einmal, von dem mysteriösen Batterieentferner mal ganz zu schweigen. 
  • Vielleicht lag die Sonde aber auch am Feldrand, und da könnten Passanten oder Anwohner sie abgerissen haben. 
  • Oder sie hängt immer noch versteckt im Laub der Eiche, was ich aber aufgrund der Datenlage und der genauen Inspektion vor Ort nicht glaube. 

Zwei Anwohner erzählten mir, dass sie auf der Whatsappgruppe der Bewohner mal nachfragen werden. Vielleicht erhalten wir auf diesem Wege Hinweise. 

Dann geht es zurück. Den nächsten Ersatzbus nach Hause erwische ich knapp nicht. Also geht es heimwärts mit dem Zug via Lüneburg. Da der Anschluss an die anderen Züge in Lüneburg in keiner Weise abgestimmt ist, muss man bei einer Fahrt Büchen-Lüneburg-Hamburg auf dem Bahnhof Lüneburg länger auf den Anschlusszug warten, als normalerweise die ganze Fahrt Büchen-Hamburg dauert. Irgendwann rollt der Metronom nach Hamburg ein - der aufgrund der Maßnahmen zur Betriebsstabilisierung an jeder Milchkanne hält. Bis zur zweiten Milchkanne kommt er nicht: Ein dumpfer Knall, eine Vollbremsung auf freier Strecke. Was war das? Man muss es positiv sehen: Endlich mal erholsame Ruhe im Zug. Kein Brummen, kein Summen, kein Motorgeräusch. Allerdings auch keine Fortbewegung. Dann in die Ruhe hinein eine Durchsage: Der Stromabnehmer habe sich spontan gesenkt. Man habe keine Idee, warum das passiert sei. Man wolle jetzt nach draußen gehen und nachgucken, ob womöglich die Oberleitung kaputt sei. Und draußen sei es dunkel, und das sei daher schwierig. Diverse Gelbwesten rennen in beiden Richtungen durch den Zug. Ich frage mich, ob ich ihnen meine helle Taschenlampe leihen soll...Nach längerer Zeit wird testweise ausprobiert, was passiert, wenn man den Stromabnehmer wieder hochfährt. Resultat: Summen und Brummen👍. Dann setzt sich der Zug langsam in Bewegung. 


Mir gegenüber sitzt ein Typ, der, wie er erzählt, jetzt seit 14 Stunden aus Bayern mit dem schön billigen 49-Euro-Ticket unterwegs sei. Er kriegt jetzt in Hamburg den Zug nach Lübeck nicht mehr und verpasst daher auch dort den letzten Bus. Er meint, so eine Tour sei nicht zu empfehlen, hat aber seinen Humor nicht verloren und erzählt weitere Erlebnisse von unterwegs. Er wird jetzt 1.5 Stunden lang zu Fuß laufen. Morgen wollte er dann wieder nach Hause fahren. Ich dachte bisher, dass  meine Nutzung des Deutschlandtickets extrem sei. Nein, ist sie nicht. 

Kurz nach Mitternacht bin ich wieder zuhause. Vielleicht sollte man diesen Monat und dann kommendes Jahr Fahrten in den Raum Büchen doch öfter mal per Auto durchführen...

 

Übersicht über alle Sondenfunde hier
Karte aller Sondenfunde hier




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